Julia Weber: «Die Vermengung»

Mutter werden als Akt der Rebellion? – Ist diese Motivation für Geburt und Geborenwerden nicht etwas weit hergeholt? – Auf keinen Fall!

Julia Weber las am Freitagmorgen im Grossen Saal des Landhauses aus ihrem zweiten Roman «Die Vermengung» und wurde von der Moderatorin Nadia Brügger zu den Hinter- und Beweggründen des Textes befragt. Brügger moderiert souverän, beginnt mit einer kurzen und prägnanten Einführung zum schriftstellerischen Profil Julia Weber, wie z.B. ihre Mitbegründerschaft des feministischen Autorenkollektivs RAUF. Dann liest Weber eine erste Stelle aus dem Roman. Eigentlich ein Risiko, denn auch in diesem Blog kann es für Webers Buch nicht genug der autofiktionalen Disclaimer geben. Also: Achtung! – Die Hauptfigur und Ich-Erzählerin «Julia» im Buch von Julia Weber ist zwar die Autorin, aber sie ist es auch nicht!

Das, so erfährt man im weiteren Gespräch zwischen Weber und Brügger, hat mit der Vermengung von verschiedenen Lebensumständen der Autorin zum Entstehungszeitpunkt des Buches zu tun; und mit dem Vermengen als Schreibprinzip, das Weber für den Roman gewählt hatte. Wobei sich das Prinzip wohl eher geradezu aufgedrängt hatte. Weber skizziert das kurz: Sie wollte einen Roman schreiben, die Figur «Ruth» stand schon von Beginn an im Zentrum, dann wurde sie angefragt, ob sie nicht doktorieren wollte – und sie wollte. Deshalb begann sie eine Poetik, eine literaturtheoretische Reflexion ihres künstlerischen Schaffens, zu verfassen. Doch dann kam bereits das nächste dazwischen: die Schwangerschaft. Die literarische Methode des Fragmentarischen und seiner Vermengung bot so Weber die Möglichkeit, mit der chaotischen Gleichzeitigkeit dieser vielen neuen Zustände und Gefühlssituationen umzugehen: Sie vermengte kurzerhand Roman, Literaturtheorie und Schwangerschaft zu einem einzigen literarischen Text.

Interessant ist, dass für Weber der Verarbeitungsprozess mit dem Buch auch nach seiner Veröffentlichung noch lange nicht abgeschlossen zu sein scheint. So realisiere sie erst jetzt vieles, was ihr während dem Schreiben wohl eher unbewusst unter der schreibenden Hand geschah. Zum Beispiel, dass die detaillierte Erzählung der Kaiserschnitt-Geburt so politisch aufgefasst werde. Das fände sie super, sie habe das aber nie bewusst als Statement geplant. Aber tatsächlich würden viele Leserinnen darauf reagieren – aus dem schlichten Umstand heraus, dass ihnen nicht viele solcher Geburtsszenen in der Literatur begegnen.

Dass Brügger mit ihren Fragen etwas wagt und nachhakt, belebt die Lesung deutlich. Kann die literarische Zentrierung des Mutterseins und der Sorge ums Kind nicht auch bereits als eine Art von Rebellion verstanden werden? Weber gefällt an dieser Überlegung das Kämpferische; die Reflexion ziele auf die Liebe ab, die man als Mutter zum eigenen Kind empfinde – und das sei eben nach ihrer Erfahrung keine Liebe, die frei von Ambivalenzen sei. Hier öffnet sich das Gespräch dann wieder einer allgemeineren Fragestellung: Müsste es nicht grundlegend mehr darum gehen, im Alltag sich den Widersprüchen zu stellen, diese auszuhalten?

Trotz der knapp bemessenen Gesprächszeit verfolgen die beiden Gesprächspartnerinnen einen interessanten gemeinsamen Gedankengang. Man einigt sich darauf: Das wirklich Politische, wirklich Provokante liegt wohl letztlich noch immer im Anspruch, beides sein zu wollen: Mutter und Künstlerin.

Am Ende entfaltet Webers bildlich präzise literarische Sprache noch einmal ihre Wirkung im Saal. Ein feiner Humor zwischen den Zeilen findet stets sein Publikum:

«Und H. schreibt. Ich liebe dich.
Und ich denke, aber das nützt nichts.»

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