Über Sprache und Ideologie
Katharina Alder im Gespräch mit Christoph Höhtker

Christoph Höhtker, in deinem neuen Roman Schlachthof und Ordnung stellst du die Menschen unter die Wunderdroge Marazepam. Im Ernst, wäre die Welt so nicht vielleicht besser?

Natürlich ist es für meine Begriffe keine gangbare Alternative, die Leute chemisch zu beeinflussen. Es ist aber letztendlich so, dass auf der ganzen Welt Drogen- oder Medikamentenkonsum gang und gäbe ist; es gehört zum normalen Alltag und ich stehe dem nur moderat kritisch gegenüber. Ich habe da keine ideologischen Schranken. Wenn man das jetzt auf die gesamte Menschheit hochrechnet… [lacht] Naja, man könnte sagen, dass die Menschheit momentan nicht in allerbester Laune ist und wenn die ein bisschen gehoben würde, wäre das vielleicht auch mal ganz angebracht. Letzendlich sind das globale Fragen von grosser Tragweite, die in so einem Buch nicht wirklich behandelt werden können. Für mich ging es darum, dass eine Droge, die auf jeden Menschen unterscheidlich wirken kann, ein sehr gutes Instrument ist, um viele verschiedene Szenarien durchszuspielen.

Du hast neben Drogen auch schon den Weltkommunismus als einzig gangbare Lösung erwähnt.

Also wenn man den Grundkern dieser Ideologie zu definieren versucht, ist das eine relativ rationale Analyse von Wirtschaftsgeschehen. Diese Form von Rationalität ist natürlich etwas, was gerade in pandemischen Zeiten durchaus mal verloren gehen kann. Insofern wäre Vernunft in Kombination mit Gerechtigkeit schon mal ein guter Ansatz, um die Welt zu organisieren. Andererseits glaube ich, und das ist in meinen Augen das zentrale Argument, dass der Kapitalismus keine wirkliche Ideologie ist, sondern etwas, was wesentlich näher am Kern des Menschen dran ist. Er ist eine menschliche Bedürfnisstruktur. Insofern glaube ich, ist der Kapitalismus dauerhaft schwer zu überwinden.

Der Roman ist voller Ideologien; du hast alles reingepackt, was geht.

Da wird mit vielen Ideologien gespielt, ja. In meinen anderen Büchern ist es auch so, dass politische Versatzstücke immer wieder benutzt werden. Die kann man natürlich auch humoristisch auswerten, nichtsdestotrotz haben sie aber immer einen relativ ernsten Kern.

Das speist sich bestimmt auch aus deinem soziologischen Interesse. Gestern im Gespräch mit Tom Kummer hast du diesbezüglich ein bisschen tiefgestapelt: Du sagtest, du hättest Wissenschaft nie ganz verstanden, würdest aber diese pseudowissenschaftlichen Belege lieben, die du in deinem Buch verwertest.

Damit meinte ich natürlich Folgendes: Ich stamme ja aus Bielefeld. Bielefeld ist ein sehr bekannter Soziologie-Standort. Zeitweise habe ich auch da studiert, aber mein Hauptstudium hab ich in Hamburg absolviert. Bielefeld ist berühmt für eine ganz bestimmte Schule der Soziologie: die Systemtheorie. Und wer etwas mit Bielefeld und Soziologie assoziiert denkt an den Namen Luhmann. Ich hab ihn natürlich gelesen, aber das sind schon sehr komplexe Theoreme. Deswegen habe ich gesagt, dass ich nicht sicher bin, ob ich da solide Verständnisgrundlagen habe. Das möchte ich mir nicht anmassen, zumal es auch schon sehr lange her ist.

Hast Du Dir mal überlegt Theaterstücke zu schreiben? Der neue Roman wirkt ja durchaus wie ein postmodernes Fragmentstück.

Ja, das würd mich nicht stören, wenn das Buch als Theater inszeniert würde. Es war natürlich meine Intention, Dinge, Szenarien, Stile zusammenzumischen und konventionelle Romanstrukturen bzw. Macharten postmodern oder postpostmodern aufzubrechen. Das mache ich gerne! Mit Theatertstücken habe ich mich bisher noch nicht so sehr auseinandergesetzt, wär aber auch gut. Das Problem ist die Zeit. Ich kann mich nicht einfach irgendwohin setzen und etwas produzieren, bei dem die Wahrscheinlichkeit, dass es in der Schubalde bleibt, extrem hoch ist. Da muss ich mir vorher sehr gut überlegen, ob ich dieses Risiko eingehen will. Wenn mir jemand sagen würde, er inszeniere an der Volksbühne und brauche ein Stück, würd ich mir das natürlich überlegen. Das Theater ist faszinierend, aber eine Welt, mit der ich nicht sonderlich vertraut bin.

Das ist interessant, denn es wirkt so, wie wenn du dich da zuhause fühlen würdest. Dieser innere Monolog des Junkies auf dem Weg zu Dr. Bunnemann beispielsweise ist grandios.

Jajajaja! Dieser Typ, Joachim Angélique Gerke… [kichert vor sich hin]

Ich sehe, du hast Spass.

Ja, der ist schon echt irre. Für mich ist diese Figur ein Sprachexperiment. Der Typ ist für meine Begriffe der sprachliche Extremstvertreter in dem Buch. Diese sehr kurzen Sätze, diese Assoziationen, diese Wortspiele, diese Kombinationen… der hat’s echt drauf. Ich habe nach Schlachthof und Ordnung noch einen Text geschrieben, in dem er alleine ist. Nur dieser Typ mit dieser Erzählweise, die noch wilder und extremer geworden ist. Dieses Buch wird wahrscheinlich niemals veröffentlicht werden.

Doch, unbedingt!

Nene, für sowas werde ich niemanden finden.

Deine Sprache ist überbordernd, sprudelnd, so breit, dass man sie nicht einordnen kann. Machst du das bewusst, oder passiert dir das?

Das ist bewusst. Diese Wortspiele fallen mir einfach ein. Wenn ich gut gelaunt bin und 2000 Kaffee getrunken habe, fällt mir sowas ein, aber das Spiel mit verschiedenen Sprachebenen, Stilen, Slangs, das ist schon ein zentrales Merkmal der Komposition – wenn ich das so sagen darf – von Schlachthof und Ordnung. Das ist bewusst. Es bereitet mir unheimliches Vergnügen, unterschiedliche Dinge in so einem gemischten Salat zusammenzumixen. Viel mehr, als wenn eine Linie so durchgehalten wird. Wobei ich es auch gut finde, wenn Leute das so machen, wie Tom Kummer zum Beispiel. In meinem neuen Text habe ich jetzt jedoch nur einen Sprachstil durchgehalten. Ich wechsle das immer. In Schlachthof und Ordnung kann auf jeder Seite etwas ganz anderes passieren. In meinem neuen Text ist es so, dass eine erwartbare Sache bis ins Manische übertrieben wird. [lacht] Ich mag es, den Leser ein bisschen zu nerven.

Vom Stampfen und Schwingen

Schreibblockaden wären hier ungünstig: Autor*innen sollen innert zwanzig Minuten einen Kurztext verfassen. Inspiration dafür liefern Begriffe, die vom Publikum vorgeschlagen und nach Zufallsprinzip gewählt werden. Ein bunter Abend, moderiert von Katja Alves und Boni Koller.

Wer schreibt? Flurina Badel wird als erste vorgestellt. Sie gewann soeben den Schweizer Literaturpreis für ihren Gedichtband tinnitus tropic. Heute wolle sie einen Limmerick schreiben – müsse aber zuerst noch Google fragen, was das eigentlich sei, antwortet Badel abenteuerlustig auf Katja Alves’ Frage, wie sie heute Abend vorgehen wolle.

Giuliano Musios zweiter Roman Wirbellos wurde 2019 publiziert und heute Abend, sagt Musio, werde er bestimmt kein Gedicht schreiben. Die dritte im Bunde ist Romana Ganzoni. Sie hat jüngst den Bündner Literaturpreis gewonnen, ihr aktuellstes Buch erschien ebenfalls 2019 unter dem Titel Tod in Genua. Es käme ziemlich auf die Begriffe an, gesteht sie, ob das mit dem Instantdichten gut komme. Sie wirkt der Herausforderung jedoch gewachsen und blickt zuversichtlich und konzentriert über die Webcam ihres Computers in die Augen des Publikums.

Auch Demian Lienhard hat 2020 den Schweizer Literaturpreis für sein Debüt Ich bin die, vor der meine Mutter gewarnt hat erhalten. Worüber er nicht schreiben wolle? Das könne er so nicht sagen – aber am liebsten würde er über diesen Plastikhummer schreiben, der so prominent auf dem Moderationstisch liege.

Sein Wunsch wird jedoch nicht erfüllt. Im Anschluss an die Vorstellungsrunde, wird das Publikum nach Begriffen befragt, die die Fantasie dieser vier Köpfe anregen soll. Zuerst eine handwerkliche Tätigkeit: Weinstampfen – das passt, denn diese Tätigkeit ist genügend weit vom Schreibhandwerk entfernt; man stampft ja mit den Füssen und schreibt mit den Händen. Dann wird eine politische Person gewählt: Richard Nixon. Warum auch nicht? Als dritter Inspirationsbegriff soll der Name eines Preises dienen. Die Wahl fällt auf «Schwingerkönigin»; somit wäre auch ein Bezug zur Schweiz hergestellt. Dann heisst es Achtung, fertig los! – und Flurina Badel, Romana Ganzoni, Demian Lienhard und Giuliano Musio hauen in die Tasten.

Während die vier Autor*innen einen Text schmieden, wird das Publikum von Katja Alves und Boni Koller unterhalten. Man spielt ein Quiz mit Fragen rund um den Literaturbetrieb. Die Zeit vergeht rasch; für das Publikum aber insbesondere für die Autor*innen.

Zuerst liest Giuliano Musio vor. Tatsächlich hat er kein Gedicht geschrieben, sondern eine Kurzgeschichte darüber, wie Adriano Celentano versehentlich Weinstampfen erfindet und über ein Musikvideo populär macht. Diese neuartige Weinproduktionsweise bringt weitläufige Konsequenzen mit sich: Beeinträchtigung des Verständnisses, erhöhte Aggression – und in der Schweiz das Schwingfest.

Demian Lienhard schliesst an. Die Geschichte beginnt mit dem Rücktritt von Richard Nixon; das Jahr, in dem die Mutter von Lienhards Protagonistin beschliesst, dass ihr ungeborenes – zu diesem Zeitpunkt sogar noch gar nicht gezeugtes – Kind Schwingerkönigin werden soll. Der Vater wird dann beim Weinstampfen kennengelernt, neun Monate später beginnt das Schwingtraining. Und siehe da: Die Protagonistin wird Schwingerkönigin.

Romana Ganzonis Text trägt den Titel Der Spiesser und die Königin. Sie erzählt von einem Mann, dessen Füsse sein Heiligtum waren – deswegen war er auch Weinstampfer. Eine Dokumentation über Richard Nixon verändert jedoch alles und er verliebt sich im Mai 2020 in eine Schwingerkönigin.

Den Abschluss macht Flurina Badel. Ihre Protagonistin sitzt zusammen mit einem „knusprigen Herrn“, der aussieht wie Richard Nixon, in einer Bar. Dort wird das Schwingfest live auf dem Fernsehen übertragen. Sie trinkt zu viel Lokalwein und hat später in der Nacht einen Albtraum von scheppernden Knochen und weinstampfenden Skeletten.

Nach diesen fantasievollen Texten wird das Publikum in den Abend entlassen. Ein gelungener Abend – und die Kurzgeschichten haben neugierig auf das Werk dieser Autor*innen gemacht. Wer will und noch nicht hat, bestellt sich also am besten gleich literarischen Nachschub.

Judith Rehmann

Sind Autor*innen bessere Menschen?

Die Frage stellt sich schon bei der Anreise: Ist es im Moment moralisch vertretbar, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen statt mit dem Fahrrad, wie im Falle von Lukas Bärfuss, 110 Kilometer nach Solothurn zu radeln? Na ja, wer Geld habe, könne sich die Fahrt in der ersten Klasse jedenfalls leisten, meint Sandra Künzi. Nora Gomringer musste sich die Gretchenfrage nicht stellen, denn sie ist an diesem Abend live von Frankfurt aus per Video zugeschaltet.

Doch das Thema des Abends ist ja eigentlich Moral und Literatur. Moderator Lucas Marco Gisi stellt gleich zu Beginn die Hauptfrage: Ist Literatur verpflichtet, sich an moralische Gesetzmässigkeiten zu halten und diese zu reflektieren? Nein, findet Künzi sogleich, Autor*innen seien nicht bessere Menschen. Von der schöngeistigen, nicht besonders machtvollen Literatur verlange man immer, dass sie moralisch sei. Dabei sollte ihrer Meinung nach Politik und Wirtschaft diesen Anspruch haben.

Damit ist Bärfuss nicht ganz einverstanden. «Sprache ist immer moralisch», findet er, schliesslich müsse man über seinen Wortschatz stets bestimmen. Und da gibt Bärfuss, ganz Systematiker, auch schon den Anstoss zu einer Begriffsdiskussion, denn was bedeute «Moral» überhaupt? Seien damit universelle Werte gemeint, oder habe das Ganze womöglich, wie Gomringer aus Frankfurt anmerkt, auch mit dem/r Adressat*in zu tun? Sobald man ein Gegenüber habe, das man überzeugen und verführen will, richte man sich dann nicht nach einer bestimmten Moral oder Sittlichkeit?

Bärfuss jedenfalls glaubt an die Macht der Sprache. Es sei schliesslich wissenschaftlich bewiesen, dass die Artikulation eines Wortes im Kopf ein Aktionspotential freisetze und damit auf eine Tat vorbereite. In anderen Worten: Dächten wir «Hammer», spannten sich unsere Muskeln und wölbe sich unsere Hand schon um den imaginären Griff, um etwas damit niederzumähen. Auch Nora Gomringer ist von der Macht der Literatur überzeugt, ihre Leser*innen zu einer moralischen Reflexion ihres Handelns zu bewegen. Ein möglicher Beweis: In Gebieten, die sich in Richtung Diktatur neigten, würden die Dichter als allererstes ruhig gestellt. Es fällt das Stichwort Ungarn.

Fazit: Sollte man also in der momentanen Situation nicht am besten Autor*innen ins Bundeshaus Bern einladen? Schliesslich sind sie die eigentlichen Profis im Modellieren von (moralischen) Szenarien.

Flüsternde Stimmen

Ihr Roman Haus aus Stein erschien im türkischen Original im Jahr 2009. Aslı Erdoğan schreibt darin über Folter und Gefangenschaft und ringt mit menschlichen Abgründen. Das Haus aus Stein, sagt Erdoğan, ist ein Symbol – es könne alles sein, ein System, ein Gefängnis – ein Ort, aus dem man nicht ausbrechen kann, ein Trauma, das gefangen hält.

In gewisser Hinsicht ist Haus aus Stein ein prophetisches Buch: Sieben Jahre nach der Erstveröffentlichung wurde die türkische Schriftstellerin inhaftiert. Sie war 136 Tage im Gefängnis – zunächst wusste sie gar nicht weshalb. Sie wurde in Isolationshaft festgehalten und erhielt zwei Tage lang kein Wasser. Nach europäischen Standards gilt das als Folter, erklärt Erdoğan. Dann kamen die Anschuldigungen: Nacg Artikel 305 im Türkischen Gesetz würde sie «gegen fundamentale nationale Interessen» handeln. Ein vager Artikel, durch dessen Berufung die Autorin jedoch beinahe zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurde. Als literarische Referentin einer kurdischen Zeitung rechnete Erdoğan zwar jederzeit mit einer Verhaftung – die Anklage beruhend auf Artikel 305 hätte sie jedoch nie erwartet. Sie sei die erste türkische Schriftstellerin, die danach verurteilt wurde. Weshalb gerade sie? Sie sei doch nur ein Flüstern.

Aslı Erdoğan lässt an diesem Abend einen ganz anderen Tonfall anklingen als Adi Blum aus dem Vorstand des Deutschschweizer PEN Zentrums, der durch den Abend führt. Blum kommt immer wieder auf hochpolitische Themen zurück, fragt nach konkreten Schritten, die Kulturschaffende und die PEN verfolgen können, um in der Türkei etwas zu bewirken. Kopfschüttelnd verneint die Autorin Blums Frage nach Handlungsfähigkeit. Ihre Worte zeugen von Hilflosigkeit, aber auch von Dringlichkeit:

They don’t learn. I’ve been trying to talk about conscience. I wanted to help to develop a bit of conscience – I am about to give up. Is it so difficult to tell those people that human life has some value? What can we do? What can we tell them?

Die Irrationalität des faschistischen Systems sei zu gross – und ziehe immer grössere Kreise. Zunächst falle ihm der unabhängige Journalismus zum Opfer, danach folgten Akademiker*innen und Schriftsteller*innen. Immer mehr Stimmen verstummen und die Behörden sorgen vor, indem sie Student*innen inhaftieren. Man fühlt den Schmerz der Autorin, wenn sie von den politischen Entwicklungen in der Türkei spricht.  

Und dennoch verstummt Erdoğan nicht. Sie sucht weiter nach einer Sprache für das Unaussprechliche. In der Form einer poetischen Prosa will sie keine Fakten aufzählen, sondern eine Poetik entwickeln, die es ihr ermöglicht, über das Grausame zu schreiben, diesen traumatischen Erfahrungen gerecht zu werden. Das Wichtigste aber, sagt Erdoğan abschliessend, ist denjenigen zu gedenken, die jetzt gerade inhaftiert sind. Sie nicht zu vergessen.

Judith Rehmann und Sarah Rageth

Zürich – Philadelphia

Ursula Rucker und Jurczok 1001 verstehen sich persönlich, sprachlich und rhythmisch, dieselbe Leidenschaft für die Dichtkunst und ihr «brand new baby» Spoken Word treibt sie um. Gleich zu Beginn des Gesprächs wird klar, bei den beiden stimmt die Chemie. Was Rucker als kosmische Anziehung bezeichnet, versucht Jurczok zu benennen. Ein Kampf, den sie gemeinsam austragen, ist der um die Anerkennung ihrer Kunstform.

Unter dem bezeichnenden Titel «Spoken Word Artist? No!! I am a poet» sprechen die Künstlerin und der Künstler über die Entwicklung des Spoken Word seit ihrem ersten Treffen im Zürcher Club Moods im Jahr 2007. Dabei legen sie die Ausschlussmechanismen und den Kulturelitismus des Literaturbetriebs offen: Ohne ein Buch herausgegeben zu haben, zähle die Arbeit nicht, eingeladen wird man erst recht nicht. Damals, vor Social Media, gab es noch kein Produkt, das man als Spoken Word Künstler*in vorlegen konnte. Fördermittel blieben aus, die für die Zuschauer*innen gerade attraktive Performativität der Kunstform wurde zum Hindernis. Doch die Situation habe sich gebessert, so Jurczok, nun wird auch ihnen an den Literaturfestivals eine Plattform gegeben. 

Die Bezeichnung als Spoken Word Artist findet Ursula Rucker aber einschränkend. Sie will sich keiner Genredefinition unterwerfen. Ihre grenzensprengende Praxis stellen Jurczok 1001 und Ursula Rucker auch im angepassten virtuellen Rahmen unter Beweis. In Form eines Poetry Exchange „Zürich – Philadelphia“ senden sie sich Haikus zu und haben das Ganze im Logbuch der Literaturtage festgehalten. Im Gespräch lesen sie diese nun vor, nehmen die Worte mit einer ansteckenden Begeisterung auseinander. Jurczok gibt den Zuschauer*innen zum Ende eine Kostprobe seiner von Rap und Beatboxing inspirierten Spoken Beats. Spontan greift sich Ursula Rucker in Philadelphia einen Egg Shaker und steigt mit ein. Bittersüss war das Treffen, wie Rucker sagt. Wunderbar war es, sich an den Literaturtagen über ihre Kunst zu unterhalten, sie könne es jedoch kaum erwarten, bald wieder miteinander zu performen.

Que demanderiez-vous à Molière ?

Essayez de l’imaginer. Vous venez de lire Le Misanthrope et vous vous retrouvez quelques heures plus tard en visioconférence avec Molière. Vous posez vos questions (souvent un peu universitaires) et il y répond très volontiers. Est-ce que ses réponses changeront votre première compréhension de la pièce ? A-t-il le pouvoir d’imposer son intention première ?

Une telle expérience de pensée soulève naturellement beaucoup de questions. En fait, je viens de la vivre. Alors évidemment, ce n’était pas pour Le Misanthrope et encore moins avec Molière (calmez-vous). Cette discussion s’est déroulée avec Pascal Janovjak au sujet de son dernier roman historique Le Zoo de Rome ; et je dois dire qu’avoir directement accès à la vision de l’auteur est un privilège heureux mais possiblement dangereux.

Passé l’instant intimidant „spécial COVID-19“ où l’on se retrouve face à une hydre virtuelle d’une quinzaine de visages inconnus, la discussion est vite devenue très riche et malgré tout naturelle. L’auteur a pu nous faire part de son processus de création, des tensions qu’il y a eu entre la recherche historique et la part de fiction ou encore de ses motivations originelles. Premier détail rassurant, j’ai aimé écouter parler l’auteur. Cela peut sembler banal, mais imaginez qu’après avoir lu les plus beaux alexandrins de Molière, ce dernier hésite, bégaie, que sa langue fourche. La désillusion ! Cette fois, le roman se lit bien et son auteur s’écoute bien. Dieu merci, pas d’ascenseur émotionnel. La seconde chose très appréciable chez Janovjak, c’est qu’il n’a imposé ni son intention, ni son point de vue. Nous pourrions naïvement penser qu’il est légitime pour un auteur de choisir la manière dont son roman doit être compris. Là, l’écrivain était bien humble face à sa création et ses personnages. Il faisait comprendre qu’il n’était pas Dieu et que ses protagonistes avaient une volonté propre au sein de la fiction. Mais en même temps, il expliquait aussi que, dans un souci de vraisemblance, il avait organisé son histoire de manière très rigoureuse. Nous voyons donc qu’une création artistique est un genre d’esclave indépendant, en même temps soumis et autonome. Évidemment, l’étudiant que je suis avait appris cela en cours (les trois fameuses intentio). Mais pour une fois, je le constatais réellement et concrètement. Face à cette leçon de modestie, je tâcherai à l’avenir d’être moins péremptoire dans mes interprétations.

À force de lire et d’étudier des textes vieux de plusieurs siècles, on oublie facilement (ou peut-être suis-je le seul) que la littérature est quelque chose d’actuel et que des romanciers, poètes ou dramaturges vivent parmi nous. Avec beaucoup de chance, ces écrivains feront partie un jour du canon littéraire francophone. Après tout, à un moment donné, Molière était un contemporain parmi d’autres. Par conséquent, avant que des académiciens exégètes de l’an 2420 leur confisquent la parole et en deviennent les uniques dépositaires, tendons-leur un maximum le micro.

Hummermässiges Instantdichten

Eine kurze Vorstellungsrunde, und dann geht plötzlich alles ganz schnell. Nicht nur das Dichten scheint hier instant zu passieren. Die Spielregeln werden erklärt – ich hab sie irgendwie nicht richtig mitbekommen und den Stichworten im Chat nach zu beurteilen, bin ich nicht die Einzige – und schon geht es los.

Das Publikum gibt ein Stichwort, dann haben die vier Autor*innen 20 Minuten Zeit, einen Text zu erarbeiten und tragen ihn anschliessend vor. Katja Alves und Boni Koller überbrücken die Wartezeit mit einem kleinen Quiz – es gibt sogar etwas zu gewinnen. So weit so gut. Den Teil, in dem Alves und Koller erklären, dass jeweils ein Stichwort in der Kategorie «Handwerkliche Tätigkeit», «Preis» und «Politiker» gesucht wird, bekomme ich nicht mit. Wieso überhaupt diese Einschränkung?

Reina Gehrig, die dem Abend als Notarin beiwohnt, hat dementsprechend einige Mühe, passende Begriffe zu finden oder sie wenigstens der jeweiligen Kategorie zu zuordnen. Da haben wohl einige Zuhörer*innen ihre Stichworte auch nicht nach Kategorie gewählt.

Schliesslich fällt die Auswahl auf «Wein stampfen», «Schwingerkönigin» und «Richard Nixon». Die Autor*innen, Flurina Badel, Romana Ganzoni, Demian Lienhard und Giuliano Musio, ziehen sich zurück und machen sich ans Schreiben.

«Was konnte sich Lukas Bärfuss als Jugendlicher nicht leisten?» Diese und andere Fragen gilt es im Quiz zu beantworten, Punkte zu sammeln und so eine Ausgabe des Strapazins zu ergattern. Leider zieht sich das Quiz etwas hin, doch die Autor*innen freut’s, so haben sie fünf Minuten länger Zeit, um an ihren Texten zu feilen.

Das Highlight des Abends sind dann definitiv die Lesungen der entstandenen Texte. Die Anstrengung, die dahinter steckt, merkt man ihnen überhaupt nicht an. Trotzdem, einfach war es nicht: «Es waren sehr schwierige Begriffe. Ich hätte viel lieber über den Hummer auf eurem Tisch geschrieben. Und ich habe von Hand geschrieben, jetzt kann ich meinen Text fast nicht mehr lesen», zieht Demian Lienhard sein Fazit.

Das Feedback der Zuschauer*innen zeigt, es war ein unterhaltsamer Abend, dessen Hauptrolle dann doch ein stiller Teilnehmer spielte: «hummermässig!»

Appel aux scientifiques et autres biologistes

Qui, lorsqu’il annonce étudier la littérature française (ou témoigne de son intérêt pour celle-ci), ne s’est pas entendu répondre, d’une voix soudainement hautaine et méprisante (pardon tonton) : “ Mais comment tu peux être sûr que l’auteur parle bien de sa dépression quand il dit qu’il ferme tous les rideaux noirs de sa maison ? Peut-être qu’il allait simplement dormir ? T’y as pensé à ça, hein ? Hein ?“

Aah les intentions de l’auteur, la portée des mots et l’interprétation de ceux-ci ! Tant de questions sur lesquelles se sont échiné.e.s de nombreux.ses étudiant.e.s dans le cadre de leur formation ou lorsqu’ils ou elles ont tenté de l’expliquer à leurs proches. Comment en effet être sûr.e.s de notre analyse ? Comment garantir que nous lisons le texte tel que l’auteur.e l’avait imaginé ? Comment ne pas tomber dans les affres de la surinterprétation ? Ne cherchez plus, il suffit de s’entretenir avec l’auteur.e du texte, sans doute la personne la mieux placée pour en parler ! Si cette solution miracle n’est pas toujours simple à mettre en place (a fortiori si on ne s’intéresse pas à la littérature contemporaine mais à des auteur.e.s mort.e.s uniquement), c’est ce que le «Club+ avec Pascal Janovjak» nous a permis de faire, en ce pluvieux soir de mai.

L’auteur s’est déplacé — non pas jusqu’à Soleure, mais devant son ordinateur — afin de „défendre“ son dernier roman sobrement intitulé Le Zoo de Rome. Il s’est volontiers prêté au jeu des questions et des réponses avec la quinzaine de participant.e.s présent.e.s, répondant autant à des interrogations très précises sur l’utilité de certains chapitres, que sur son processus créatif en général, de la collecte d’informations à la rédaction. Quel plaisir d’entendre un auteur parler de ses influences, de ses problèmes, des solutions trouvées et de ses réflexions avant et pendant la phase d’écriture. Si certaines idées — la structure générale du récit notamment —  sont le fruit d’une longue réflexion, il avoue que certaines inspirations lui sont tombées dessus, au détour d’une promenade dans un parc. Par ses explications honnêtes et convaincantes, Pascal Janovjak a levé quelques retenues que j’avais vis-à-vis de son texte. Grâce à cette discussion, j’ai compris certaines des décisions qu’il avait prises, lui qui attache tant d’importance à ne pas étouffer le lecteur sous un trop-plein d’informations, à lui laisser de la place pour percer lui-même certains mystères. Qu’il est bon de s’intéresser à la littérature contemporaine, à des auteur.e.s encore de chair et d’encre ! Qu’il est bon surtout d’avoir l’opportunité de discuter avec eux.

Je lance donc un appel urgent à tous les scientifiques, biologistes et autres ethnologues et anthropologues : recréez  — par les témoignages d’époque, les lettres, les textes ou que sais-je encore — l’intelligence, la pensée, la voix des grand.e.s auteur.e.s passé.e.s, qu’ils et elles puissent à leur tour passer à la broche de nos questions. Devenez des John Hammond de la littérature et, à défaut de Jurassic Park, faites-nous des Romantiques Park, des Naturalistes Park ou autres Lumiéric Park ! Je ne voudrais pas avoir l’air d’exagérer, mais faites vite, je vous prie. Je dois bientôt rendre des travaux sur Pernette du Guillet et Verlaine et j’aurais quelques questions à leur poser…

Wie wird ein Buch?

Unter dieser Leitfrage finden Simone Lappert und Zsuzsanna Gahse an den 42. Solothurner Literaturtagen zusammen, sprechen über ihre Texte «Der Sprung» und «Schon bald» und darüber, wie sie als Autorinnen Dinge sammeln, selektionieren und ordnen.

Die Autorinnen schweifen nicht in metaphysische Spekulationen ab, obwohl der eher bemüht abstrakt klingende Veranstaltungstitel «Zur Zusammengehörigkeit der Dinge» anderes vermuten liesse. Stattdessen bleiben Lappert und Gahse angenehm konkret. Sie unterhalten sich, moderiert von Stefan Humbel, unter anderem über ihren persönlichen Schreibprozess. Obwohl das Webcamformat in diesem Gespräch ausbleibt, erhalten die Zuhörer*innen Einblick in die Arbeitszimmer der Autorinnen. Zsuzsanna Gahse erzählt von ihren grossen und kleinen Schreibtischen und ihrem Stehpult. Das Schreiben geschieht gerne mal im Bett und die Auslegeordnung findet auf dem Boden statt.

Darüber hinaus sprechen die Autorinnen vom Ordnen im Text. Besonders die Figuren bieten dabei Orientierungshilfe. In «Der Sprung» ist es eine Menschenmenge, die zum Handlungsträger wird. Lappert verfolgt die Vielzahl an Lebensgeschichten, erforscht die divergierenden Sichtweisen und konfrontiert sich mit düsteren Erfahrungswelten. Zsuzsanna Gahse überschreitet Grenzen im medialen Sinn. Sie verbindet Dichtung, Prosa und Essay, vergibt die Handlungsmacht an Dinge und Räume.

Die Frauen sprechen auch von dem, was sich der Ordnung entzieht. Für Lappert heisst das, der Figur nicht Worte in den Mund zu legen, sondern diese selbst zu Wort kommen lassen. Es geht darum, die Figur soweit kennenzulernen, dass ihre Worte die der Autorin werden und gleichzeitig die Distanz zu wahren, damit die Autorin die Figur nicht inkorporiert und ihren Ausdruck behauptet, anstatt erzählt. Die Figuren dürfen nicht zu Marionetten werden – auch nicht dann, wenn es darum geht, eine Erzählung zu strukturieren. Entweder die Dinge fügen sich, docken aneinander an oder sie tun es nicht. Und was nicht zusammengehört, bleibt übrig, wird in einer Schublade verstaut und kann, fügt Gahse an, Jahre später an einem anderen Ort wieder auftreten.

Dann ein plot twist: Für einmal lesen die Autorinnen nicht aus ihren eigenen Büchern, sondern haben sich eine Passage aus der Arbeit ihrer Gesprächspartnerin ausgesucht. Lappert erzählt, dass sie ohnehin stark mit den Ohren schreibt. Sie liest sich den Text selbst laut vor beim Schreiben. Der Klang der Worte sei für sie Inhaltsträger. Denn damit der Text einen Körper erhält, muss er in den Raum – ins Dreidimensionale – geholt werden, erklärt sie. Es gehe darum, den eigenen Text zu prüfen; sie muss ihn hören, um zu wissen, ob sie ihm glauben kann.

Zsuzsanna Gahse wiederum verweist auf das Dialogische des Schreibprozesses und die Wichtigkeit der Aussensicht. «Das Vortragen ist fundamentaler Bestandteil des Schreibens», hallt es aus unseren Computerlautsprechern. Einmal mehr wird die Bedeutung des Zwischenmenschlichen im scheinbar isolierten Prozess des Schreibens deutlich. Schreiben, ergänzt Simone Lappert, sei für sie sowieso immer eine Begegnung – und wenn sie merkt, dass sie die Reaktion ihrer Figur nicht bis zu jedem Mass beeinflussen kann, dann weiss sie, dass ihr Buch auf gutem Wege ist.

Judith Rehmann und Sarah Rageth

Jamais vu et souvent lu

Le voyage intime des traducteurs de Philippe Rahmy

Les choses continuent d’exister quand nous ne sommes pas là. Il suffit de les disposer avec soin pour que les autres les trouvent belles et s’en servent en notre absence. Écrire. Que sont les livres sinon la chambre vacante d’un écrivain parti en voyage dans ses histoires ?
(Philippe Rahmy, Béton armé)

En effet, les écrits de Rahmy, disposés avec soin ont su plaire. Luciana Cisbani, traductrice d’Allegra parle d’un coup de foudre de lecture, qui a déclenché l’envie de traduire le roman en italien. De même, Yves Raeber s’est beaucoup investi dans la traduction de Béton armé en allemand. 

Les deux traducteurs de Rahmy n’ont pas connu Philippe personnellement. Pourtant, ils le nomment par son prénom, parlent de lui comme d’un ami proche, de ses souffrances et de sa maladie, de la corporalité et du mystère de ses livres. 

Même s’il s’agit d’un auteur comme Rahmy, qui invite ses lecteurs chaleureusement à vivre en intimité avec ses livres, on peut s’interroger sur la possibilité et les limites de connaître quelqu’un à travers son écriture. 

Traduire permet de faire revivre un écrit, de le faire survivre. La traduction construit un pont qui permet au texte de dépasser son cadre original. Or, dans un premier temps le traducteur doit envisager le voyage dans le sens inverse, c’est-à-dire il lui faut enjamber le fossé là où il n’y a pas encore de pont. Un saut dans le vide, là où le traducteur suppose un fondement fécond du texte. Sur les traces fictionnelles de Béton armé, Yves Raeber a entrepris un voyage à Shanghaï. Pour rédiger Die Panzerung, il s’est plongé dans le décor dans lequel le livre original a vu le jour. Incontestablement une telle expérience crée de la proximité et accentue l’empathie du traducteur pour l’auteur. Néanmoins, cette proximité peut être trompeuse. Elle est construite unilatéralement et repose sur les dispositions et sensibilités personnelles du traducteur. C’est dans ce sens que Luciana Cisbani nous rappelle que le traducteur est amené à faire des choix et qu’il doit supporter que les autres possibilités ne se taisent jamais.