KW48

No No Future

Alexandra

In Alexandra von Arx' Debütroman «Ein Hauch Pink» wird die Farbe zum Symbol einer verlorenen Punk-Vergangenheit. Was als schon häufig gelesene Midlife-Crisis Geschichte anmutet, entpuppt sich als feinfühlige Hommage an die Liebe.

Von Silvan Preisig
23. November 2020

Schwer, wie Damokles Schwert, hängt die Nostalgie über der Erzählung. Episoden aus der Schulzeit der Hauptfigur werden immer wieder aufgegriffen, aber nicht verklärend idealisiert. Der Autorin gelingt es, das Nostalgie-Gefühl meist zu kompensieren, indem sie die präsentische Gedankenwelt der Hauptfigur sprechen lässt. Markus, der 54-jährige Versicherungsangestellte ist auf der Suche nach der Antwort auf die Frage: War es das? Eine Frage, die ihn umtreibt, weil er sich an seine Jugendliebe Olivia erinnert, die mit 16 Jahren spurlos aus seinem Leben verschwunden ist. Olivia, die sich die Haare Pink färbte und die Fingernägel Schwarz. Olivia, die sich mit Markus im Plattenladen traf, um die neusten Punk-Alben zu hören, und die sich immer stärker radikalisierte. Sie ist der Spiegel für ein Leben, dass Markus nicht führt. Symbolisch steht sie für den Punk-Lifestyle, für die Rebellion und die konsequente Umsetzung der Selbstauflösung, jener Programmatik, die den Punk-Gestus auszeichnet. Olivia entspricht dem Punk-Ideal, sie ist jung, sie liest viel – aber nie das, was sie sollte – sie hält sich nicht an die Rechtschreibung oder andere Regeln und sie wird von ihren Mitschüler*innen bewundert, ohne dass sie nach Bewunderung strebt. Markus ist ihr einziger Freund, doch er spürt, dass Olivia sich immer mehr von ihm entfernt, bis sie eines Tages nicht mehr in der Schule erscheint. Eine Konsequenz ihres radikalen Weges, so scheint es.

Ein leeres Haus

40 Jahre später macht sich Markus zögerlich auf die Suche nach Olivia. Er ist getrieben von der Frage «was wäre wenn?». Die eigentliche Suche führt aber in sein Innenleben. Und der Leser nimmt unmittelbar daran teil. Mit einer klaren, ruhigen Sprache, die in ihrer Nüchternheit an die Schreibweise Wilhelm Genazinos erinnert, gelingt es von Arx die inneren Konflikte von Markus nachzuzeichnen. Markus fühlt sich so leer, wie er sein Leben sieht. Die eigenen Kinder sind nur noch per Skype erreichbar, die Ehe ist Routine geworden mit den immer gleichen Ferien, den Besuchen bei der Schwiegermutter und die Arbeit, die bringt sowieso keine Abwechslung. Der Text greift die Leerstellen in Markus Leben performativ auf, indem er dort abbricht, wo Handlungen und Dialoge beginnen würden. So wird der Eindruck verstärkt, dass hier ein Ich spricht, dass die Abläufe seines Alltags zu oft erlebt hat, als dass sie noch erzählenswert sind. Im Kontrast dazu steht die stakkato-artig wiederholte Frage «War es das? War es das? War es das?», die so an Dringlichkeit gewinnt.

Zur Person

Alexandra von Arx, geboren 1972 in Olten, studierte Rechtswissenschaften in Bern und arbeitete danach ein Jahrzehnt als Juristin. Heute ist sie als internationale Wahlbeobachterin sowie freiberufliche Übersetzerin tätig. Sie lebte in verschiedenen Grossstädten, unter anderem acht Jahre in Paris. Heute wohnt und schreibt sie im Appenzellerland.

Die Farbe Pink wird zur Metapher für die Sehnsucht nach Veränderung. Markus kauft sich eine pinke Jacke, seine Frau streicht die Wände des Badezimmers Pink. So richtig neu fühlt sich das dennoch nicht an. Die Ehefrau Lisa fährt das erste Mal alleine in die Toskana, doch statt die neu gewonnene Freiheit zu geniessen, verstärkt sich das Gefühl der Einsamkeit bei Markus: «Keine Projekte. Nur Leere!»

Punk Forever

Nicht Olivia selbst, sondern die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gibt dem verlorenen Markus schliesslich Orientierung. Als Katalysator entpuppt sich die Begegnung mit Herrn Menzi, dem Inhaber eines Musikgeschäfts, der hinter seinem Ladentisch steht, als hätte er die ganze Zeit auf Markus gewartet. Ihm traut sich Markus an, er erzählt ihm von seiner letzten Begegnung mit Olivia und der quälenden Fragen seither. Eine unausgesprochene Parallele in den Leben von Markus und Lisa kommt zum Vorschein. Durch das Wiederentdecken von Überraschungen, Spontaneität, von Unerwartetem, sieht Markus seine Beziehung zu Lisa in neuem Licht und so füllt sich die Leere seines Alltags aus.

Hier und da wünscht man sich als Leser doch, dass der Spannungsbogen gestrafft wird und die Intensität zunimmt. Dank der Sprache von von Arx, die sich nicht am Spektakel, sondern an den Spannungen der Gedankenwelt orientiert, gelingt ihr aber die Balance zwischen Punk-Nostalgie und Beobachtungspoesie eindrücklich. Entstanden ist sowas wie ein Anti-Punk-Roman. Ein Text, der sich nicht am umstürzlerischen Gestus einer Punk-Poetik orientiert, der die Werte des bürgerlichen Lebens nicht verteufelt, im Gegenteil: «Love Forever» statt «No Future».

Alexandra von Arx: Ein Hauch Pink. 152 Seiten. Olten: Knapp Verlag 2020, ca. 19 Franken.

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