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Die fremdeste Form nebenmenschlichen Lebens

Mit «Der Leopardenmeister» legt János Moser einen Band mit fantastischen Erzählungen vor, die den Transfer romantischer Poetik in die Spätmoderne erproben. Erzählt werden darin Begegnungen mit wunderlichen Entitäten, deren Kuriosität nicht nur auf ihr Gegenüber übergreift, sondern das Erzählen selbst verfremdet.

Von Sebastien Fanzun
11. Oktober 2021

Diese Rezension ist echt schwierig zu schreiben. Nicht, weil das Buch schlecht wäre – im Gegenteil –, sondern weil es sich so radikal modern und so nonchalant klassisch zugleich liest, wie eine Prachtausgabe von E.T.A. Hoffmanns Nachtstücke etwa, die jemand im McDonalds liegen gelassen hat. Da studiert man sie nun, im grellen Geht-doch-bitte-endlich-nach-Hause-Licht einer McDonalds-Filiale um halb drei morgens, und sieht zu, wie sich das Samt in Ketchup verwandelt und umgekehrt –

– und weil man gerade als Literaturwissenschaftler*in glaubt gelernt zu haben, dass zwischen dem 19. und dem 21. Jahrhundert mindestens so hundert Jahre liegen, von denen man nicht so tun kann, als hätte es sie nicht gegeben, ohne dass es extrem altmodisch wirken würde oder lächerlich oder – beides zusammen – gummig-geeky maskulin à la Clemens Setz und keineswegs so souverän leichtfüssig wie das, was János Moser in Der Leopardenmeister zeigt.

Zum Autor

János Moser, 1989 in Aarau geboren und in Suhr aufgewachsen, studierte Germanistik und Geschichte in Bern, Berlin und Zürich. Für seine Prosa bekam er 2011 erstmals einen Werkbeitrag des Aargauer Kuratoriums zugesprochen. Zwei seiner Erzählsammlungen, «Das Kaninchen und der Stein» (2012) und «Der Graben» (2015), erschienen in der «Reihe» des Wolfbach-Verlags. Im Februar 2016 feierte sein Theaterstück «Der weiße Kalong» in Aarau Premiere. Mit «Im Krater» veröffentlichte er 2017 seinen ersten Roman. «Der Leopardenmeister» ist Mosers dritter Erzählband.

Interaktion mit dem Nebenmenschlichen

Die dreizehn unter diesem Titel versammelten Erzählungen wirken, als blätterten Donna Haraway und Nikolai Gogol gemeinsam (und gut gelaunt) noch einmal durch Texte der Romantik, um an ihnen alles zu mobilisieren, was daran immer noch eher aus der Zukunft zu kommen denn in der Vergangenheit zu wurzeln scheint. Im Zentrum steht meist eine Interaktion der Erzählinstanz oder ihr Verhältnis zu einer nicht- oder, wohl genauer, nebenmenschlichen Entität: zum titelgebenden Leopardenmeister etwa, oder zu einem Fisch, der zwar spricht, dabei aber möglichst nicht kommuniziert (Im Kraftwerk); zu einem internationalen Unternehmen, das angeblich Dinosaurier baut (Auf dem Gerüst); oder zu einem seltsamen Weltstaat, der aus Feuer in all seinen Varianten zu bestehen scheint (Flammende Wälder). In Lippen stellt sich der notorisch kitschige Anfang von Eichendorffs Mondnacht – «Es war, als hätt der Himmel / die Erde still geküsst» – als ‹cosmic horror› heraus, als Anzeichen einer unheimlichen interplanetaren und übermenschlichen Beziehung, während in Die Katzen die Erzählfigur – die zu «Metonymien bei Hoffmann» forscht – mit Katzen konfrontiert wird, die sich erst als Kater herausstellen, um sich dann als Priester, und dann als … na, eben als wieder etwas anderes herauszustellen, was auch immer.

Erzählen als Experiment

«Phantastika» nennt das der Untertitel des Buchs, und wahrscheinlich ist das richtig. Jede Erzählung erlaubt es einem, sie als eine mit unbändiger Erzähllust aufgeführte Feier der Vorstellungskraft zu lesen. Virtuos genug für eine ‹art pour l’art› werden unterschiedlichste Figuren und Beziehungen durchgespielt, gekonnt sind die Texte dramaturgisch komponiert (einzig Der Mond, etwas länglich, fällt ein wenig ab); und wahrscheinlich ist das wichtig. Diese unverblümte Literarizität der Texte, ihre saubere Geschlossenheit, knüpft die Erzählungen formal an ein Motiv, das schon in früheren Veröffentlichungen Mosers thematisch aufgetaucht ist: dasjenige des Labors, mithin des Experiments (etwa in Das Kaninchen und der Stein). Die Laborsituation liefert das Paradigma nicht nur für die in Der Leopardenmeister immer wieder verhandelte Zentralität der Interaktion mit anderen Lebensformen, sondern auch für die zugleich klinisch genaue und unberechenbar wilde Art dieser Erzählungen. Die fremdeste Form nebenmenschlichen Lebens, legen sie nahe, ist die Literatur.

János Moser: Der Leopardenmeister. 112 Seiten. Warth: Caracol Verlag 2021, ca. 20 Franken.