Tante Leguan geht ab

«Zehn, neun, acht, sieben, sechs und so weiter», zählt Matto Kämpf den Countdown zu seiner eigenen Show, während neben ihm die grossartige Sibylle Aeberli an der Gitarre abrockt. Drei, zwei, eins und los geht die Lesung. Es ist wirklich eine Lesung, denn heute geht’s im Helsinki nicht nur um Gitarreschrammeln, sondern auch um Kämpfs neustes Buch. «Tante Leguan» heisst das Oeuvre und handelt von den Leiden drei junger Kulturjournalisten, die für den «Idiot» die Feder schwingen. Oder eben auch nicht. Denn mit 35 sind die Journis zwar tatsächlich noch jung, doch fühlen sie sich alt und verbraucht (was in Anbetracht ihres Alkoholkonsums nicht erstaunt) und das locker flockige Schreiben von einst ist auch eher stockend und harzig.

Die Lesung ist nun schon in vollem Gange, Kämpf und Aeberli wechseln sich im Vortragen ab, in bestem Schweizerhochdeutsch, und entführen das Publikum in die triste Welt des Grossraumbüros.

Die drei Journis langweilen sich gehörig. Erst als eines Tages ein Brief mit der CD der chinesischen Punkband «Tante Leguan» in die Redaktion flattert, machen sich die drei auf die Spuren dieser ominösen Tante. Sie reisen nach China, spesengedeckt und unter dem Vorwand, eine Sommerreihe zum tiefgründigen Titel «Peking – Einst und Jetzt» herauszugeben. Die Reportagen dazu sind, nach Eigeneinschätzung «unter aller Sau», doch dem Chef ist’s egal und weitere Trips nach Neapel und Lyon werden den «Reiseverführern» finanziert.

Die Journis dinieren, philosophieren und fabulieren. Letzteres mit auffälliger Häufigkeit über Musik. Diese Musik kommt dann auch im Helsinki live zum Zuge. Meisterhaft authentisch wird der im Buch beschriebene schräge und oftmals einfach nur schlechte Sound live vertont, wobei sich Kämpf wie ein Quasimodo über sein Keyboard beugt und Aeberli an der Gitarre abgeht wie ein grosser Rockstar.

Ein Highlight ist dann auch, wo die beiden «80er Jahre spielen», mit den einfachen, doch grandiosen Requisiten von zwei Militärtaschenlampen, mit grünem und rotem Filter.
Das Publikum johlt – je länger die Show dauert, desto mehr – und die Bar wird rege besucht, wobei ein Zusammenhang vermutet wird. Mit einer Witzdichte von ca. 30 Lachern pro Minute ist dann auch die Schenkelklopfer-Falle unbestreitbar da, doch das ist dem Publikum egal. Soll sie doch zuschnappen, sind sich die Zuschauer einig, wir lassen uns gerne fangen. Die Stimmung ist nämlich prima und die Lesung ein voller Erfolg. Prost auf dich, liebe Tante Leguan!