Zutritt verwehrt! Krieg und Vertreibung büssen auch im Comic nichts von ihrer Tragik ein

Welche Ironie: Olivier Kugler kann trotz deutschem Pass und englischem Wohnsitz nicht in die Schweiz einreisen. Für uns wirkt es wie Ironie, aber für die Menschen, die er porträtiert hat, ist es wohl eher Sarkasmus. Kugler halten meteorologische Gründe in England fest. Die Vernissage seines Erstlings findet ohne ihn statt. Der Verleger und zwei Mitarbeiterinnen von MSF füllen die Leere mit einem improvisierten Gespräch.

Im Auftrag von Médecins Sans Frontières (MSF) reiste Olivier Kugler nach Kurdistan, Griechenland und Frankreich, um syrische Flüchtlinge zu porträtieren und auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Auf der Basis von Fotos und übersetzten Gesprächen vor Ort entstanden in seinem Atelier in London gezeichnete Reportagen von Flüchtlingen, die genügend Vertrauen hatten, ihre Geschichte zu teilen. Die Zeichnungen stecken voller Details, die im Leben der Porträtierten von grosser Bedeutung sind: Hier eine Plastikblume, dort ein Spielzeug oder eine Packung Schokoladenkekse. Der Stil ist comichaft, der Text wird jedoch nicht von Sprechblasen eingerahmt und nimmt viel Platz ein. Kugler selbst nennt seinen Stil gezeichnete Reportagen oder Comicreportage.

Die meisten Geschichten handeln von dem, was zurückgelassen wurde: Angehörige, Besitz und Lebenspläne, aber auch von den umständlichen Fluchtwegen sowie den Beschwerlichkeiten des Lagerlebens. Viele syrischen Flüchtlinge sind Akademiker. Sie geben sich extrem Mühe, Haltung zu bewahren,  während sie ausserhalb der EU hin- und hergeschoben werden. Viele von ihnen wollen eigentlich gar nicht nach Europa.

Europa ist nicht unser Traumziel. Es ist nicht das Paradies… Es ist nicht der Himmel. Ich wäre lieber in Syrien, aber ohne Krieg. (Flüchtling in Calais, FR)

Nach Europa kommen diejenigen, die keine Hoffnung mehr haben, heimkehren zu können. Oftmals werden sie zusätzlich von einem schlechten Gewissen geplagt, weil sie fortgegangen sind. Je weiter weg von ihrer Heimat Kugler die Flüchtlinge antrifft, desto weniger Vertrauen bringen sie ihm entgegen; sie sind schon lange auf der Flucht und unwillkommen.

Das zentralste Problem in den Lagern ist der fehlende Zugang zu den öffentlichen Gesundheitssystemen. Aus diesem Grund ermöglicht MSF insbesondere Hilfe für werdende Mütter und Personen mit chronischen Krankheiten. Eine zentrale Aufgabe ist die psychologische Betreuung. Viele trauen sich nicht, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Depressionen und Selbstmordgedanken sind aber weit verbreitet.

Olivier Kugler ist momentan nicht für MSF unterwegs. Er arbeitet jedoch an einem neuen Projekt in Kolumbien. Er will dort eine syrische Flüchtlingsfamilie porträtieren für den Strapazin, ein in Zürich beheimatetes Comicheft. Sein Buch Dem Krieg entronnen – Begegnungen mit Syrern auf der Flucht erschien erst auf Deutsch. Die Veröffentlichung auf Englisch und Französisch ist in Planung und soll durch Crowdfunding finanziert werden.

Kuglers engagierter Erstling zeigt Menschen, die einst ein ähnliches Leben geführt und ähnliche Ziele verfolgt haben wie durchschnittliche Europäer. Auf eine ansprechende Art rückt Kugler eine der brennendsten gesellschaftspolitischen Debatten in den Fokus. Er präsentiert keine Patentlösung, aber Geschichten, die von der ungeklärten Situation verursacht werden. Olivier Kugler berührt und fordert dazu auf bewusst hinzusehen. Die Freude an seinem Buch wiegt die Enttäuschung über seine Abwesenheit beinahe auf.