Mut zu Wahrheit und Tat – ein Portrait und Aufruf

Franziska Greising, die am Samstagabend in der Buchhandlung Beer zu Gast war, schreibt am liebsten über grosse Frauengestalten. So handelt ihr letztes Buch vom Leben Rösli (Rose) Näfs, oder, genauer gesagt: von vier Jahren dieses Lebens.

Rose kam ursprünglich aus dem Glarnerland. Da ihre Eltern wenig Geld hatten, verdingte sie sich als Aupair in Lugano, London und Genf und lernte so nebenbei Fremdsprachen. Als sie einen Bericht der SAG über die Judenverfolgung in Deutschland und Frankreich las, meldete sie sich sogleich zum Freiwilligendienst und wurde Leiterin eines Heimes mit 100 jüdischen Flüchtlingskindern im Süden Frankreichs. Als beinahe die Hälfte der Kinder, alle über 16 Jahre, verhaftet und ins Internierungslager nach Le Vernet gebracht wurden, war sie die einzige Fürsprecherin der Kinder. Das Rote Kreuz, als Organisation der das Kinderheim angehörte, und die Schweiz versagten ihr jegliche Un

Franziska Greising im Gespräch

terstützung. Da sie das Vertrauen in ihre Arbeitgeber verloren hatte, widersetzte sie sich deren Anweisungen und suchte Hilfe bei der Résistance. Der Polizeiminister von Vichy half ihr, die Kinder in letzter Minute aus dem Lager zu befreien. In Nacht- und Nebelaktionen und grüppchenweise schickte sie die Kinder in Richtung Genf. Die meisten von ihnen konnten die Grenze überqueren und fanden Zuflucht bei den von der SAG vermittelten Patenschaften. Viele von ihnen reisten weiter nach (damals) Palästina oder Amerika. Unter denjenigen, welche die traumatischen Erlebnisse verarbeiten konnten, nahmen sich nicht wenige jedoch später das Leben.

Greisings Buch widmet sich ganz dem eindrücklichen Mut und der aufopfernden Handlungsweise Rose Näfs. Wenn ihr Schreibstil sich auch sehr detailreich und dadurch auch etwas langatmig ausnimmt, so sorgte die Grundthematik jedoch für eine fesselnde Lesung, was durch die sich anschliessende lebhafte Frage- und Austauschrunde dokumentiert wurde. Viele Besucher konnten an Erzählungen ihrer Grosseltern anknüpfen; insbesondere die Rolle des Roten Kreuzes und der offiziellen Schweiz gab Anlass zu Diskussionen, aber auch der Aktivdienst an der Grenze für alle wehrtauglichen Männer.

Vieles von dem, was heute anklang, ist noch nicht aufgearbeitet und richtiggestellt, wird tabuisiert und totgeschwiegen, obgleich die Spuren der Schuld und die Traumata heute immer noch sichtbar sind. Dank Autorinnen wie Franziska Greising bleiben diese Missstände als solche jedoch in der Debatte. Bleibt zu hoffen, dass die Schweiz ebenfalls Mut zeigt und Verantwortung für ihre vergangenen, oder eben unterlassenen Taten übernimmt.

Für uns bei «Zürich liest»:
Pia Weidmann

Pia Weidmann durfte an den Literaturtagen in Solothurn bereits erste Erfahrungen als Bloggerin sammeln.

Diesen Oktober liegt ihr Fokus auf den Kriegsopfern und den vom Leben weniger Begünstigten.  Sei es aktuelle Zeitgeschichte wie in Olivier Kuglers Comicreportage, sei es eine literarisch wiederbelebte Vergangenheit wie bei der Zufluchtbietenden Rose Näf oder dem versuchten Widerstand von Patricia Litten – die vom Krieg und der Geschichte geprägten Menschen sind es, denen Pia Weidmann am diesjährigen Zürich liest nachgeht.

Pia Weidmann studiert Germanistik und Romanistik in Zürich und arbeitet neben dem Studium in einer Stiftung für Gehörlose.