Eine wie keine

Wer hat ihre Bücher nicht gelesen? Gerade der Klassiker der Jugendbuch-Literatur Der rote Seidenschal? Jede Frau kennt das Buch und die Autorin dahinter. Federica de Cesco, die Schriftstellerin, die sich mit ihren sehnsuchtsvollen und abenteuerversprechenden Romanen in unsere Herzen geschrieben hat. Die Frauenfiguren ihrer Romane, die angetrieben sind von Freiheit, Eigensinn und Mut, haben Generationen von Jugendlichen geprägt. Alle jungen Mädchen wollten plötzlich reiten lernen und sich in einen Indianer verlieben und mit ihm Abenteuer erleben.

Ja, wir Frauen haben ihre Bücher verschlungen. Und tun es immer noch. Denn mit fast 80 Jahren schreibt Federica de Cesco noch immer. Das Literaturhaus Zürich lud in Kooperation mit Kaufleuten Kultur an eine Hommage an diese aussergewöhnliche Schriftstellerin ein. Die Moderatorinnen des Abends, Gesa Schneider und Corina Freudiger, bezeichnen sich selber als grosse de Cesco-Fans. Auf die erstaunte Feststellung Corinas, dass sich auch einige Männer unter dem Publikum befanden, meinte Federica de Cesco schlicht: «Ich schreibe Bücher für Menschen, und da gehören die Männer auch dazu.»

Federica de Cesco bezeichnet sich selber als Feministin. Tatsächlich sind die Figurengestaltung und Handlungsführung ihrer ersten Romane fast schon von einem revolutionären Charakter, bedenkt man, dass sie ihre ersten Romane in den 50er Jahren geschrieben hat, in denen die Rolle der Frau noch ganz anderen Normen unterworfen war. Gerade diese Unbefangenheit war es wohl, die ihr zum Erfolg verholfen hat. Sie war jung und hat nicht darüber nachgedacht, sondern einfach geschrieben: «Ich habe das geschrieben, was ich empfand.»

Ihren ersten Roman Der rote Seidenschal, den sie mit 15 geschrieben hat, erfand sie auf dem Schulweg. Sie hat die Geschichte schliesslich niedergeschrieben, um ihn ihren Mitschülern zum Lesen zu geben. Dass es schliesslich zu einer Publikation kam, ist einer Berufsberaterin zu verdanken. Auf deren Vorwurf, Federica habe nicht viel Fantasie, präsentierte diese ihr Roman-Manuskript, worauf das Ganze an einen Verlag geschickt wurde. Und der Rest ist Geschichte.

Was Federica de Cescos Romane nicht zuletzt auszeichnet, ist das fundiert recherchierte Hintergrundwissen. So hat sie sich bereits in jungen Jahren ein erstaunliches ethnologisches Wissen angeeignet. «Ich war entsetzlich belesen», sagt sie und fügt hinzu, dass sie in der Bibliothek alles verschlungen habe, bevorzugt Philosophie und Geschichte. Immer, wenn sie den Namen eines ihr unbekannten Ortes gelesen hat, fragte sie sich: «Wo liegt das, was macht man da? Und voilà.» Ihre Bücher spielen in der Camargue, in Tokio, in der Sahara oder bei den Indianern.

«Wenn ich über die Apachen schreibe, dann sind sie so», stellt Federica de Cesco klar. «Okay, vielleicht ein bisschen idealisiert», fügt sie noch lächelnd hinzu. «Die Grundstruktur stimmt aber», betont sie nochmals, «ich will den LeserInnen schliesslich nichts vormachen.»

Dass es trotzdem dazu kommen kann, beweist eine Anekdote. Als eines ihrer Jugendbücher 1973 unter dem deutschen Titel Sterne über heissem Sand erschien, fragte bei einem Schulbesuch ein Schüler bei ihr nach, wie denn die Temperaturen in der Sahara seien. Als sie antwortete, am Tag werde es sehr heiss bis über 50 Grad und in der Nacht sehr kalt bis unter 0, hakte der Schüler weiter nach, warum dann der Titel, bitteschön, Sterne über heissem Sand laute?

Dass sie dennoch lieber in Deutsch als in Französisch schreibt, hat damit zu tun, dass sie die deutsche Sprache bewundere: «Mit der deutschen Sprache ist man freier im Schreiben, im Gegensatz zum Französischen. Es ist einfacher, neue Welten heraufzubeschwören, neue Wörter können leichter erfunden werden.»

Seit den 90er Jahren schreibt Federica de Cesco auch Bücher für Erwachsene. Solche Bücher seien leichter zu schreiben, meint sie. Jugendliche haben (noch) nicht die klassische Formation und einen weniger ausgeprägten Wortschatz, deswegen müssten Jugendbücher entsprechend «reduziert» geschrieben werden.

Ihr neues Buch für Erwachsene – Der englische Liebhaber – erscheint nächstes Jahr. Aus dem Manuskript liest de Cesco einige Seiten vor. Es sei das erste Mal, dass sie aus einem Manus – wie sie sagt – vorliest. Mit klarer und präzis eingesetzter Stimme beginnt sie vorzulesen, man merkt, wieviel Lesungserfahrung sie hat. Die Erzählung, die im ersten Eindruck doch deutlich misanthropische Züge trägt, handelt von einer deutschen Frau in der Nachkriegszeit, die als Dolmetscherin bei der englischen Besatzungsmacht arbeitet und sich in einen Hauptmann verliebt. Es ist die Geschichte einer grossen, einer ehrlichen Liebe – die Federica de Cesco auch in ihrem Privatleben gefunden hat. (Seit 47 Jahren ist sie mit ihrem Mann, dem japanischen Fotografen Kazuyuki Kitamura, verheiratet.)

Auf die Frage, ob Federica de Cesco noch etwas ihren jüngeren LeserInnen auf den Weg mitgeben möchte, sagt sie, was sie immer wieder erstaune, sei, dass so viele Angst haben vor dem Verlust der Schönheit. Das Leben sei nun mal ein biologischer Abbau, alles sei in dieser Welt vergänglich. Auch im Verwelken und in der verwelken Blume liegt – Poesie.

Ein kurzes Stelldichein

Der Zürcher Chreis Cheib ist im Niedergang. Wobei diese Aussage nur mit einer ausreichenden Prise Ironie zu geniessen ist. Denn eigentlich könnte sich ja jede Stadt glücklich schätzen,  ihren ehemals grössten Sündenpfuhl langsam in Richtung Szeneviertel gentrifiziert zu sehen.

Vor diesem Hintergrund mutet die Entscheidung, die Lesung aus Michèle Binswangers neuem Buch, Fremdgehen – Ein Handbuch für Frauen, im ehemaligen Stundenhotel Hotel Rothaus abzuhalten, dann doch als ziemlich bürgerliche Trockenübung an: Verrucht ja, aber bitte nicht schmutzig.

Bemüht verschämt wurde das Publikum auf das Zimmer geführt, wo die Autorin bereits auf dem Bett sass und das Licht schummrig gedämmt war. Während durch die offenen Fenstern das Krakeelen eines vom Leben Überforderten drang, nahm ein eher unbefriedigendes Vorleseerlebnis seinen Lauf. Steril wie das Zimmer, das in der Vergangenheit gewiss Schauplatz manchen Seitensprungs war Zeuge, doch nun durch eine karge Einrichtung, falschem Stuck und stickige Luft sich auszeichnete. Ziemlich lustlos las dann auch Frau Binswanger aus ihrem Buch vor, das die vielen Vorteile des Fremdgehens anpreist. Das Publikum erfuhr, wie überaus befreiend es sein kann, in Swingerclubs zu gehen, oder dass eine immer stärker um sich greifende Monogamie-Müdigkeit an der Existenzberechtigung der Schweizer Ehebetten sägt.

An und für sich wäre einem anregendem Abend ja nichts im Wege gestanden, um zu klären was Affären mit sexueller Befreiung und  Emanzipation zu tun haben. Dazu wäre jedoch zumindest ein Mindestmass an Interaktion zwischen Autorin und Publikum vonnöten gewesen. Stattdessen wurde man jedoch nach knapp 40 Minuten aus dem Zimmer hinauskomplimentiert und durfte auf der mässig besuchten Langstrasse noch ein wenig darüber sinnieren, was dieser Ausflug in ein literarisches Randgebiet denn nun eigentlich gebracht hat.

 

Mord mit Morf, Musik und Hund

Die Stimmung ist gut, der Platz beengt, als die Krimiautorin Isabel Morf am Donnerstagabend in der Buchhandlung Bodmer aus ihren Werken vorliest. Direkt neben den Kriminalromanen im Regal lässt sie die Figuren aus einer Kurzgeschichte und ihrem neuen Roman Selbsanft lebendig werden. Mit Hörbuchstimme, unterstützt von passender Mimik und Gestik, erzählt Morf in der Kurzgeschichte von Cassandra Buchstab, einer mittelmässig erfolgreichen Krimiautorin. Gebannte Stille, immer wieder unterbrochen von kurzen Lachern, als Buchstab vom perfekten Mord berichtet, den sie begangen hat. Oder sollte man sagen, der ihr widerfahren ist? Denn eher zufällig wird Buchstab zu einer mordenden Krimiautorin, deren Bücher sich durch den Vorfall viel besser verkaufen. Nach dieser gelungenen Pointe wechselt Morf zur Premierenlesung ihres aktuellen Romans Selbsanft, der im Glanerland spielt. In Auszügen begleitet das Publikum Kommissar Melchior Zwicki zu seinen Ermittlungen, nachdem ein Toter am Selbsanft gefunden wurde. Wie bei den Kurzgeschichten zuvor freut sich das Publikum über die feine Ironie in Morfs Text und ihre überzeugende Leseweise. Atmosphärisch untermalt werden diese Schauergeschichten von Beat de Roche, der sich trotz vielversprechender Karriere als Strassenmusikant für einen «richtigen» Beruf (Arzt) entschied, und nun seiner Halszither geheimnisvolle Klänge entlockt.

Im Anschluss an die Lesung über ihre Arbeitsweise befragt, sagt Morf im Hinblick auf ihren neuen Roman: «Ich bin im Glarnerland aufgewachsen und wollte immer mal einen Krimi schreiben, der dort spielt. Der Selbsanft sollte auch vorkommen. Was mache ich? Ich lege einen Toten an den Selbsanft.» Morf erklärt auch, dass sie ihre Geschichten beim Schreiben entwickle. «Vorher weiss ich nur das Skelett der Handlung: wer bringt wen warum um. Im Schreiben füge ich das Fleisch an den Knochen hinzu.» So endet die Lesung und das Publikum strebt dem Apéro zu, damit es nicht selbst vom Fleisch fällt.

Isabel Morf beim anschliessenden Signieren

Eine angeklagte Kröte, eine Kiste voll Sinnlosigkeit und die kleinste Mundharmonika der Welt

Was nach dem Inventar eines Kuriositätenkabinetts klingt, ist tatsächlich die gestrige Benefiz-Veranstaltung im Zürcher Tanzhaus in a nutshell. Vier ungleiche Autoren – Rolf Lappert, Henriette Vásárhelyi, Daniel Illger und Peter Weber – lasen im Tanzhaus  aus ihren Romanen und noch in Arbeit befindlichen Manuskripten. Der Erlös der von Dana Grigorcea und Gunda Zeeb monatlich veranstalten Leseabende geht zur Gänze an die Schweizer Soforthilfe in Flüchtlingscamps am Mittelmeer. Der Zweck einigte in diesem Fall die Mittlerinnen und Mittler, die unterschiedlicher eigentlich nicht hätten sein können.

Die Kiste fand sich in Henriette Vasarhelyis neuem Roman Seit ich fort bin. Im Roman geht es um den Verlust eines geliebten Menschen und das Ansammeln, Archivieren und Anschreiben gegen das Vergessen. In einem Karton bewahrt Anis den ganzen Staub der Wohnung, in der sie selbst noch bis vor kurzem mit ihrer nun verstorbenen Mutter gelebt hatte. Die Ich-Erzählerin sieht «Flusen, Fussel, Krümel und Körner“, Anis hingegen eine versteckte, verschlüsselte Botschaft der Mutter, die sonst nichts zurückliess, «keinen Brief, keine Notiz – keine Erleichterung».

In Rolf Lapperts Lesung muss sich eine Kröte vor einem vierköpfigen Kindergericht verantworten. Sein noch im Entstehen begriffenes Buch Leben ist ein unregelmässiges Verb strickt die Geschichte von vier Geschwistern, die in einer Kommune aufwachsen. Überzeugt von der gefährlichen Ideologie der Gesellschaft, beschliessen die Eltern, ihre Söhne und ihre Tochter davon zu bewahren. Die «Winnipegs» wachsen auf einem abgelegenen Bauernhof auf, werden zuhause unterrichtet und lernen, bis zum Einschreiten der Behörden Jahre später, keine anderen Kinder kennen. Zwischen kindlich-naiver Glückseligkeit ahnen sie doch ihre beschränkte Freiheit. In der gelesenen Passage spielen sie draussen auf dem Feld, um der Langeweile zu entrinnen. Die dunkle, feuchte Haut und Warzen einer Kröte sind in ihren Augen Indizien eines Lebens in der Verborgenheit, doch auf diese Anklage reagiert die Kröte freilich nicht. Die Richter werden selbst zu Henkern.

Die kleinste Mundharmonika der Welt schliesslich brachte Peter Weber zur Freude der Zuhörerinnen und Zuhörer nicht nur erzählerisch mit: Seine humorvollen Texte über Zürich und über die Musik interludierte er gleich selbst mit dem Mini-Instrument. Dazwischen veranstaltete er so etwas wie ein Wortdomino, bei dem Doppel- und Kofferworte den Text kurzerhand in ein völlig neues Bedeutungsfeld überführten. So wird etwa die Schaltstelle im Hirn, die gleichermassen für Sprache wie für Musik verantwortlich ist, von einem Hirnforscher als kirschgross beschrieben, wobei die Äste zwischen den Hemisphären bei regelmässigem Praktizieren zu regelrechten Baumstämmen erwachsen können. Während sich dieser weiter über die Verwandtschaft von Sprache und Musik auslässt, sinniert der Gesprächspartner über Kirschbäume, bis schliesslich aller «Sinn in Klang zergeht» und noch ein letztes Mal die Mundharmonika erklingt.

Nicht so recht in die Reihe des unerwartet Kuriosen passen wollte ausgerechnet der Fantasy-Roman Daniel Illgers. Im Gegensatz zu den anderen Romanen schien dieser geradezu mimetisch real, wenn er von zwei flüchtende Schwestern erzählt, die etwas sehr melodramatisch erkennen müssen, dass «Hunger und Not nicht vor der Strafe des Diebstahls retten».

Den Einblick in vier so unterschiedliche Werke konnte man im Anschluss bei einer Schüssel selbstgemachter Suppe diskutieren, denn wie die veranstaltende Autorin Dana Grigorcea betonte, soll der «Lesesalon» ein Ort des Austausches sein.

 

Augen wie blaue Diamanten

Auch wenn das diesjährige Zürich liest noch nicht einmal vorbei ist, hat Nadia Brügger bereits ihren Lieblingsort gefunden: Er liegt unweit des Paradeplatzes, an der Bärengasse 20. Das Junge Literaturlabor ist bereits zum dritten Mal Teil des Literaturfestivals. Es wird von Richard Reich, Gerda Wurzenberger und Irene Eichenberger geleitet und bietet Kinder und Jugendlichen aus Primar- und Sekundarschulen den Raum, mit der Sprache experimentierfreudige Spiele zu treiben. Dabei entstehen Geschichten über die Eifersucht, präzise Stadtbeobachtungen und sogar ein Hörspiel.

 «Schrei doch no lüter», tönt es von der Seite, wenn die Schülerinnen und Schüler der Oberstufen-Kleinklasse aus Schlieren ihre Geschichten  zum Thema Wie das Schicksal tickt lesen. Anlass des Aufruhrs ist, möchte man meinen, eigentlich der brisante Inhalt: Trisa und Sandro lernen sich auf einer Party kennen, gehen zusammen nach Hause, wenn die Eltern weg sind, Trisa wird schwanger und von Sandro verlassen (er hat sich immerhin schon um den Spitznamen «Fuckboy» verdient gemacht). Das Kind kommt im Triemlispital zur Welt und trägt den Namen Sonja. So weit, so gut. Die Klassenkameradinnen, von denen einige am Rand sitzen, werden immer wieder mit Kommentaren in die Lesung eingreifen oder es vor Lachen kaum aushalten, wenn es in der Kurzgeschichte Drei Minuten ihres Schreibcoaches Anita Siegfried eine zerklüftete Zunge gibt, die wie eine Schnecke einer Schulter entlanggleitet: Sie machen ihre Lesung kurzerhand zu einer Aufführung. Die aufgeregte Stimmung hält schon lange an, und sie ist ansteckend (ich werde noch Stunden nach der Lesung eifriger als sonst durch die Strassen streifen): Bei der ersten Cola noch vor der Lesung strömen von überall her Kinder und Jugendliche, die A4-Blätter in klammen Fingern, ihre Coaches und Grosseltern stürmisch begrüssend. Ein Mädchen neben mir, das später lesen wird, hat Bauchweh, und als ihre Angehörige besänftigend meint, das sei bloss die Aufregung, meint sie fast frohlockend: Ich habe es bereits seit einer Woche!
Anita Siegfried hat mit den «Schlieremer Chind», wie sie Richard Reich in seiner Einführung lachend nennt, ein Langzeitprojekt begleitet, aus dem nun der JuLl-Print Nr. 13 entstanden ist: Vier Storys aus Schlieren eben, geschrieben von Albijon Biljali, Naike Gambi, Yasmin Henle, Ricardo Horta, Fjolla Idrizaj, Myriam Krebs, Drilona Kryeziu, Giovanni Lama, Even Mengstab und Arbresha Rexhepaj. Sie erzählen von Liebe und Eifersucht, Snapchat und Instagram, von Carlos’ Freundin, deren Augen wie blaue Diamanten leuchten, von Kim, die es im Gefängnis «soso lala» findet und von Luca und Mattia, die nach einer turbulenten Inselstrandung in Schlieren ein italienisches Fünf-Sterne-Restaurant mit dem Namen «Bella Sicilia» eröffnen.

Das ist aber bloss das erste Projekt, das an diesem Abend vorgestellt wird: Gina Bucher, die in ihrer dokumentarischen Neuerscheinung Der Fehler, der mein Leben veränderte unter anderem virtuos von einem sanftmütigen Bankräuber erzählt, der bei seinen Überfällen nicht einmal eine Waffe zückt («Aber Herr Kuhn, die hatten Sie ja nicht einmal in der Hand!»), begleitet ein Projekt, das seit der letzten Manifesta vor einem Jahr existiert: Die fünf Stadtbeobachterinnen, die ihre Lesung mit Detailbeobachtungen in Form von Pendlernotizen von Nicola Bryner beginnen und von denen man nur hoffen kann, dass sie bald den Blog für ein ihnen zustehendes (also: grosses) Publikum aufschalten. Deborah Mäder erzählt von einer Segway-Tour inkl. Bahnhofstrasse, bei welcher der erste Unfall bereits geschieht, als die Tour noch nicht einmal begonnen hat – bei ihrer Erwähnung dessen, dass nach kurzer Zeit bereits der zweite Italiener am Boden liegt, geht ein unruhiges Raunen durch die GC-Fans. Mara Richter (mit einer Hörspiel-Erzählstimme sondergleichen!) liest eine Geschichte von Selma Matter, in dem Zukunfts- und Maturagefühle verhandelt werden, und daraufhin noch eine eigene, die eine denkwürdige Begegnung mit einem Bettler verhandelt. Die Begegnung mit Frau Hueber mit «ue», einer achtundneunzigjährigen Frau, die kürzlich vom Blitz (ihre eigene Interpretation des «Schleglis») getroffen wurde und nun mithilfe einer Passantin bei einem Mann klingeln geht, den sie für ihren Sohn hält, ist schliesslich Anaïs Ruters traumwandlerische Erzählung. Spätestens hier möchte man, angestachelt durch die Lust und Freude an der Literatur, die an diesem Abend ganz deutlich spürbar wird, mit eigenen Papieren durch die Stuhlreihen stürmen und am Mikrofon zu sitzen kommen.

Die beiden letzten Darbietungen dieses Abends werden von Suzanne Zahnd und Ulrike Ulrich betreut: Zahnd, aus deren Debüt Angemessene Regung die Zuhörerinnen und Zuhörer zum ersten Mal Auszüge hören, gibt die Premiere zum Hörspiel einer sechsten Klasse, das den Titel Rache ist rot trägt und mit vielen Überraschungen aufwartet: Schulleiter und Lehrerin werden beim Schmusen erwischt, was eine ganze Reihe von Schwierigkeiten auf den Plan ruft, in deren Folge Mäuse nicht einmal mehr Mäuse bleiben. Fünfundzwanzig Schülerinnen haben dafür an einer gemeinsamen Geschichte geschrieben und erzählen vor ihrer quirligen Darbietung davon, wie man fürs Hörspiel das Geräusch eines Blutbrunnens produziert oder mit Geknister und Petflaschen den Eindruck erwecken kann, etwas würde ganz eilig gesucht.

Ulrike Ulrich (Fernbleiben, Draussen um diese Zeit) steigt mit einer Zukunftsdystopie ein, in welcher die EU nur noch eine ferne Erinnerung ist, und stellt dann mit Axmed Cabdullahi ihren Zögling vor, der seit 2017 in der Schweiz lebt und ein Ministipendium zugesprochen bekommen hat. Seine erste Geschichte, die vom eigenen Lachen begleitet wird, liest er auf Somali. Seine Geschichten sind «garantiert nicht traurig», weil sie dann nicht müde machen, und können im JuLl Ready Print 9 mit dem Titel Die Kurden waren sehr überrascht nachgelesen werden. Es geht um nicht sehr intelligente Söhne, die den Dieben die Fernbedienung nachtragen, um neunzigjährige Männer in der Bank von Somalia, die für die Hochzeit ihrer Grossväter Kredit beantragen wollen, um intelligente Mütter, grosszügige Coiffeure und Esel, die Witze immer erst später verstehen. Wie der ganze Abend an der Bärengasse: lohnt sich auch das.

Ist die alte Dame zurück?

Seine Ausgangssituation war nicht einfach. Das Buch, aus dem er liest, ist nicht mehr ganz neu. Das Publikum ist mit 22 Nasen eher spärlich bemessen. Und die Moderatorin gibt gleich zu Beginn unverblümt zu, dass sie sein Buch immer noch nicht gelesen habe. Lorenz Langenegger macht das Beste daraus und liest drei Passagen aus «Dorffrieden».

Seine Hauptfigur ist der alternde Dorfpolizist Wattenhofer, der die nicht weiter definierte «kleine Seegemeinde» seit seiner Geburt nie verlassen hat und ein bisschen neidisch ist auf seinen Sohn, der ein rebellisches Leben führt. Sein Leben scheint tatsächlich wie in Watte gepackt. Die Probleme, um die sich der Polizist kümmern muss, sind allesamt lächerlich: Unordnung beim Fahrradständer, die sich als einzelne weggeworfene Zigarettenschachtel entpuppt, und – das höchste der Gefühle – die Autobahneinfahrt muss wegen des Chinesischen Wirtschaftsministers für fünf Minuten gesperrt werden. In besagter Zigarettenschachtel findet Wattenhofer einen Schlüssel, und er begibt sich, plötzlich getrieben wie in einem Fernsehkrimi, auf die Suche nach Hinweisen, was es mit diesem Schlüssel auf sich hat. Und das, obwohl er Fernsehkrimis eigentlich gar nicht mag – den «Tatort» ausgenommen, weil er sich mit den Figuren dort identifizieren kann.

Auch an anderen Bezügen mangelt es nicht: Gegenwärtige politische Situationen (Anti-AKW-Demo, Freihandelsabkommen mit China, China-Tibet-Konflikt) werden kurz und meist leicht ironisch angesprochen, charakteristische Krimi-Elemente werden dadurch, dass eben genau nichts geschieht, in etwas Lächerliches verkehrt, und eine Fabrikantenwitwe, die enorm viel Geld hat und deren ganzes Wesen bei jeder Bewegung «Dürrenmatt!» schreit, hält alle Fäden des Kaffs in der Hand. Nicht auszuschliessen, dass sie auch Wattenhofers «Kriminalfall» von A bis Z inszeniert hat.

Langenegger beweist ein feines Gespür für die Langweiligkeiten des Dorflebens, für die heimlichen Sehnsüchte seiner Figuren und einen scharfen Blick fürs Detail. Der Eindruck, den sein Buch hinterlässt: Langsam, aber kurzweilig, vielleicht etwas überladen mit Anspielungen.

Der 37-jährige Lorenz Langenegger kam durch seine Tätigkeit als Dramatiker zu internationaler Beachtung, Stücke von ihm gewannen bereits diverse Preise, unter anderem bei der Schaubühne in Berlin. In jüngerer Vergangenheit war er am Drehbuch des Luzerner «Tatorts» beteiligt. «Dorffrieden» (Jung und Jung, Salzburg/Wien 2016) ist sein dritter Roman.

«I wui Skifoahrn – sonst nix!»

Gion Mathias Cavelty, der Bündner Fachmann für geistreichen Firlefanz, kann nicht anders: Die Lesung im eleganten Buchsalon des «Kosmos» eröffnet er, in gewohnt schwarzer Montur, ironisch: mit dem Abspielen der Österreichischen Nationalhymne. Man dürfe sich erheben und ungeniert einstimmen, bietet er an. Es ist das letzte Mal an diesem Abend, dass ihm sein Publikum nicht folgt. Von nun an ist es ihm, der mit routinierter Süffisanz durch den Abend führt, gewogen.

Das launige Geplänkel mit dem Journalisten Thomas Widmer, der dem Autor als kongenialer Sidekick assistiert («Ist der Bauch echt?»), ermöglicht Cavelty, seine Lieblingsanekdoten vorzubringen, lotet aber auch das Verhältnis von Autor und Werk aus. «I wui Skifoahrn – sonst nix!» zitiert Cavelty den ehemaligen Weltklasse-Skirennläufer Franz Klammer in seinem neuen Buch – ob dieses Bekenntnis, so Widmer, nicht eigentlich ein peinliches Zeugnis von Einfältigkeit sei? Der Autor widerspricht vehement: «Wenn ich in einem Satz sagen könnte, was ich bin und was ich will, und das dann auch tun würde» – das wäre seiner Meinung nach «vorbildlich».

Freilich: Eine Sport-Story ist Der Tag, an dem es 449 Franz Klammers regnete nicht geworden. Klammer meets Jesus und dessen Bibelkollegen, gemeinsame Zeitreisen leiten thematisch vom kruden Okkultismus führender Nazis zu den Gnostikern, den alten Ägyptern und den Maya bis hin zum Urknall. Einem Ort also ohne Zeit und Raum, vor allem ohne Gott. Im Gespräch mit Widmer bekundet Cavelty Sympathie für die Gnostiker. Ihr Spieltrieb, ihr Trotz gegen Konventionen, ihre Freude an der Opposition faszinieren ihn, der mit dieser Attitüde auch sein eigenes Werk bestreiten will. Auf die Frage nach seinen Vorbildern und ob zu diesen etwa Bärfuss zähle, antwortet er keck: «Bärfuss? Was ist Bärfuss?» Stattdessen verweist er auf «Moby Dick». Er könne sich, «jetzt mal unironisch», mit keiner literarischen Figur so sehr identifizieren wie mit Ahab, der mit letzter Kraft gegen die Naturgesetze ankämpfe.

Cavelty liest gekonnt und mit erkennbarer Freude am Ulk. Geschickt nutzt er den Bündner Sprachduktus, um jede noch so latente Pointe aufzuspüren. Den Abschluss des Abends bildet ein Ausschnitt des Hörspiels zum vorgestellten Buch: «nur 6 Minuten», beschwichtigt der Autor. Er braucht einige Sekunden, sich selbst in die Rolle des blossen Zuhörers zu finden, und arrangiert sich stilvoll in die Denkerpose hinein: den Kopf auf die tätowierte Hand gestützt, folgt er zufrieden dem eigenen Werk. Hier sieht man einen Autor, versunken im selbstverfassten Text, der innerlich die Worte mitzusprechen scheint und, sobald das Kichern wie ein Lauffeuer durch die Sitzreihen brandet, leise feixt. Einem anschliessenden Foto-Shooting gibt er sich bereitwillig hin.

Seiten über Saiten, soweit das Auge das reicht

Im Klampfen-Mekka von Zürich, dem Gitarren Total, ist jeder Quadratmeter Wand mit Gibsons, Fenders und Les Pauls bestückt. Und wenn man genau hinhört, dann vernimmt man ihr verheissungsvolles Wispern, sie doch endlich aus der Halterung zu nehmen und zum Leben zu erwecken.

Somit ist es nicht vermessen zu sagen, dass der Gitarrenladen im Kreis 3 die perfekte Kulisse für die Lesung aus Vintage war, dem neuen Roman von Grégoire Hervier, der es sich auch nicht nehmen liess, selbst in die Saiten zu greifen, um vor der Lesung mit einigen satten Riffs den Blues wieder aufleben zu lassen.

Um den geht es auch in seinem neuen Roman, in dem ein junger Journalist und Gitarrist eine Million versprochen bekommt, wenn er beweisen kann, dass es die legendäre Gibson Moderne tatsächlich gegeben hat. Zwielichtige Gestalten, abgehalfterte Elvis-Imitatoren und besessene Musikliebhaber kreuzen dabei seinen Weg. Das Buch ist jedoch nicht nur ein fantastisch geschriebener Musikkrimi,  sondern auch eine Hommage an eine Zeit, als die Billboard Charts noch nicht unter dem Diktat des digital zum Einheitsbrei gepanschten Mainstream-Pops ächzten.

The blues had a baby and called it Rock ’n‘ Roll.

Doch die Lesung war keinesfalls ein rührseliger Nostalgieabend. Abwechselnd auf Deutsch und Französisch vorlesend, bildeten Grégoire Hervier und der Schauspieler Jürg Plüss ein harmonierendes Duo, das den zahlreich erschienenen Besuchern einen höchst kurzweiligen Abend zu bereiten wusste und die Grenzen zwischen Lesung und Jamsession fliessend werden liess. Der zu Anfang ein wenig zurückhaltende Hervier taute schnell auf und nahm das Publikum mit seinem französischen Charme ein. Jürg Plüss als sein dynamischer Counterpart schaffte es mit seinem wohlklingendem Bariton, dem Text eine archaische Dynamik zu verleihen. So waren die Limmat und das Grossmünster plötzlich ganz weit weg und man fühlte stattdessen die gleißende Sonne des Mississippi-Deltas im Nacken brennen und den Vorschein einer neuen musikalischen Ära am Horizont.

Ein mehr als gelungener Abend also, von dem die Erkenntnis blieb, dass zwischen guter Literatur und guter Musik kein so grosser Unterschied besteht. Es braucht Leidenschaft, den richtigen Ton und eine solide Geschichte. Und wenn das alles noch nicht ausreicht, dann geht man halt einen Pakt mit dem Teufel ein. Doktor Faustus und Robert Johnson lassen grüssen …

 

 

 

 

 

Matto verliert, Trampeltier regiert

Matto Kämpf ist ein Meister der Pause. Seine neue Band setzt auf Pointen ohne Ende. Ob das fägt?

 

Das Berner Multitalent, nach gefeierten Kolumnen und Beinaheromanen zuletzt im Fernsehen mit  dem Experiment Schneuwly präsent, hat jetzt eine Band. Trampeltier of Love klingen mal nach Musikschule, die eine Treppe runterfällt, mal nach Fabers Zirkuskapelle, mal nach Indie-Dadrock, der sich am eigenen Breitwanddilettantismus berauscht. Die Gratwanderung zwischen Totalschaden und Gesamtkunstwerk ist gewollt. Und meistens sogar richtig gekonnt. Denn während Kämpf als Frontmann eine Art synkopischen Bernrap mit Gröleinlagen und Schunkelrefrains kultiviert und auch als Sänger ein Mann des Wortes bleibt, sind seine drei Mitmusiker  nicht nur performativ, sondern auch technisch versiert. King Pepe, der sich bereits als Solokünstler einen Namen gemacht hat, bildet mit dem Drummer Benjamin Dodell eine verspielte Einheit, die dem mächtigen Sousaphon von Tubist Marc Unternährer kraftvoll gegenübertritt. Das ist laut, das ist lustig.

Auch am Mikro kommen alle zum Zug, neben Spoken Word-Einlagen (Kämpf: «Ein patriotisches und UBS-kritisches Gedicht: Wer ins Ausland geht, ist selbst schuld»), Schunkel-Acapella-Oden an Whiskey und Zigaretten oder der reizend überdrehten Single «Leider ohne Kleider» erfreut die gut fünfzig ZuhörerInnen im Wiediker Kulturmarkt vor allem die Solonummer des hochgewachsenen Tubisten, der, wie einst Laokoon unter den Schlangen, unter seinem gigantischen Instrument ächzend zur Wachsamkeit bei Lebensentscheidungen aufruft: «Augen auf bei der Berufswahl.»

Dass der Funke bei dem in sterile Stuhlreihen gequetschten Publikum erst in der zweiten Hälfte des gut einstündigen Konzertes so richtig übersprang, mochte zu Teilen dem recht kargen Saal geschuldet sein. Dessen latente Jugendzentrumanmutung nahm dem gewollten Improvisationscharakter etwas an ironischer Schärfe. Dass aber das Publikum trotz wohlwollender Anteilnahme oft nicht wusste, wo, wann und warum zu lachen war, ist in Teilen auch dem von Pointen überfrachteten Programm anzulasten: Während man, gerade bei Kämpfs Texten, noch den teils grandiosen, stets mit Understatement vorgetragenen Treppenwitzen nachhinkte oder den ein oder anderen humoristischen Klimmzug nachturnte, waren die Nummern häufig schon wieder vorbei. Da standen sie dann, die vier charmanten Entertainer, und mussten allzu häufig ein paar Schrecksekunden lang auf den verdienten Applaus warten. Der dann aber umso gelöster kam, und überhaupt dürfte es auf Schweizer Kleinkunstbühnen wohl eine Luxussorge darstellen, dass eine Bühne unter dem versammelten Esprit gelegentlich zu kollabieren droht. Dass Kämpfs Talent, gerade durch Dehnung zu grösster poetischer Dichte zu gelangen, solo besser zu Geltung kommt, tut dem infinite jest, den das Trampeltier auf die Bretter bringt, deshalb keinen dramatischen Abbruch. Ein paar Stühle raus, ein paar Verschnaufpausen rein, und das fägt.

Wie man die Blindmaus vertreibt

«Ich bin neidisch, weil Sie Wasser haben.» Meir Shalev ist angetan von der Zürcher Stadtgärtnerei. Bei ihm zuhause im Norden Israels sei es von Juni bis September völlig trocken. Nur zwei oder drei Blumen wachsen in dieser Zeit in Shalevs Garten. Von dem erzählt der Autor im Gewächshaus einem fachkundigen Publikum – auf Nachfrage gibt mehr als die Hälfte der Besucher an, selbst einen Garten zu beackern.

Sein Garten sei wohl das Gegenteil eines schweizerischen Gartens: unprofessionell und wild. «Er ist ein Durcheinander.» Das Gärtnern hat sich Shalev selbst beigebracht. Vor achtzehn Jahren bezog er sein Haus und sah Blumen im Garten des Nachbarn. Da kam er auf den Geschmack und begann selbst, die Fläche um sein Haus zu bepflanzen. Wildblumen pflanzte er, weil diese stark genug seien, sowohl das harte Klima als auch seine schlechten Gartenkenntnisse überleben können. In seinem Buch «Mein Wildgarten» versammelt er Anekdoten aus seinem Gärtneralltag.

Meir Shalev mit Moderatorin Jennifer Khakshouri

Shalev berichtet von den Verwüstungen einer Blindmaus, die besonders gerne die Zwiebeln seiner liebsten Blumen angriff. Selbst für einen friedlichen Gärtner wird solch ein Gast zum Erzfeind, gegen den ein «totaler Krieg» begonnen werden muss. Nach etlichen gescheiterten Versuchen, das Tier zu ertränken, erschrecken, erschiessen oder zu erschlagen, hält Shalev jedoch inne. Er hat seine Zeit vergeudet, sich und der Umwelt geschadet. Warum und mit welcher Wirkung? Wer ist hier der Schädling? Heute pflanzt er seine wertvollsten Blumen in Töpfen und «verwaltet» den Konflikt mit der Blindmaus.

Es ist köstlich, diese und andere Anekdoten zu hören. Der Schauspieler Jaap Achterberg liest die Passagen zur hörbaren Freude des Publikums sehr anregend und dynamisch. Neben den gelesenen Passagen aus seinem Buch kommentiert Shalev seine Arbeit. Er spricht über seine Wildblumen und über die Tiere, die nachts aus dem angrenzenden Wildreservat seinen Garten besuchen. Das Gärtnern sei sein erstes richtiges Hobby geworden, erinnert sich Shalev.  Was hat das Schreiben mit dem Gärtnersein gemeinsam? Man brauche viel Geduld. Manche Samen, egal ob aus ihnen Blüten oder Geschichten kommen, müssen lange Zeit ruhen, um wachsen zu können.

Sein Buch «Mein Wildgarten» ist in Israel zum Bestseller geworden. Shalev vermutet dahinter auch religiöse Gründe. Denn sein Buch beschreibe den Garten als «einzigen normalen Ort in Israel». In einem Land, dessen Boden seit Jahrhunderten von drei Weltreligionen verehrt und umkämpft wird, biete der unspektakuläre und bescheidene Wildgarten einen beruhigenden Perspektivwechsel. Davon ist Shalev überzeugt. Gerade weil er nicht heilig ist, gerade weil niemand Besitzansprüche an sie stellt, werde die Erde seines Gartens zum Ort für neue Reflexion. «Jesus hat nie meinen Garten betreten.»

Shalev schlägt auch politische Töne an. Sowohl das Land, als auch der Autor werden im nächsten siebzig Jahre alt. «Wir sind beide siebzig, aber ich sehe besser aus.» Zum Geburtstag wünscht er dem Land vor allem eine bessere Regierung.

Enrico Ehmann, Julien Reimer