Thriller goes Tram. Mit den «Sisters in Crime» durch Zürich

Als ich zehn Minuten vor Lesungsbeginn das Cobratram am Bellevue betrete, ist der erste Eindruck schlimmer als bei einem blutrünstigen Krimi: Feierabendverkehr! Und das am Sonntagmittag kurz vor 12 Uhr. Und selbst im Krimitram, in dem die Zürcher «Sisters in Crime», Petra Ivanov und Mitra Devi, ihren gemeinsam verfassten Thriller «Schockfrost» präsentieren, werden die wenigen leeren Sitze von ziemlich grossen Handtaschen beansprucht. Ich ergattere einen der letzten Plätze, sogar einen mit ordentlich Beinfreiheit, dafür aber mit dem Rücken zu den Lesenden.

Mich die ganze Zeit umzudrehen war dann doch zu mühsam, und so konnte ich die vorbeiziehende Innenstadt geniessen, während Devi nach der kurzen Anmoderation direkt zu lesen begann. Meine Sitzposition eröffnete mir immerhin, was den meisten anderen Zuhörern verborgen blieb: Unser Tram wurde, zumindest auf den ersten paar Metern, von einer Streife der Stadtpolizei Zürich eskortiert. Der Krimi-Mittag konnte beginnen.

Devi und Ivanov lasen abwechselnd Passagen aus ihrem Buch. Am Anfang war das etwas verwirrend und zusammenhangslos, doch Schritt für Schritt wurden die präsentierten Figuren in einen Kontext gestellt. Zwischen den Passagen erörterten die beiden Autorinnen immer wieder den Rahmen ihres Thrillers und zogen die nötigen Verbindungen zwischen den vorgestellten Figuren. So hatten wir etwa zur Hälfte der Lesung, beim Bahnhof Altstetten, langsam aber sicher ein Bild davon, was uns bei «Schockfrost» erwartet.

Während Devi beim Vorlesen eine unheimliche Stimmung heraufbeschwört, ist Ivanov das Gegenteil. Sie liest ruhig und langsam und schafft so einen Gegenpol zu Devi. Am besten kommt diese Kombination zur Geltung, als die beiden gegen Ende zusammen lesen: Ivanov übernimmt die direkte Rede der Psychiaterin Sarah, während Devi die Erzählinstanz und Sarahs Patienten Georg liest. Als dem unter Verfolgungswahn leidenden Georg während seiner Sitzung bei Sarah ein Küchenmesser aus der Jacke fällt, hält Ivanov inne. Sie klärt die Fahrgäste auf, dass die Kapitel eines Thrillers eigentlich immer mit einem Cliffhanger enden, so wie dieses hier. Ausnahmsweise würden sie heute und nur für uns noch eine Szene mehr lesen.

Doch die Freude über diese Grosszügigkeit ist nur von kurzer Dauer: Auch die nächste Szene endet mit einem mindestens so grossen Cliffhanger. Ivanov grinst verschmitzt und meint lediglich, dass sie ewig so weitermachen könnte. Überraschend war dann auch, dass die beiden Autorinnen, die bekannt für ihre Zürcher Krimis sind, den mobilen Lesungsort entgegen meinen Erwartungen nicht ausgenutzt haben. Die erzählten Passagen spielten irgendwo im Nirgendwo, während draussen die bekannteren Ecken Zürichs in voller Pracht erstrahlten. Trotzdem hat die Lesung Lust auf das Buch gemacht, doch das eigentliche Highlight folgte erst noch: Die beiden Autorinnen erörterten abschliessend noch, wie es ist, gemeinsam ein Buch zu schreiben.

Ivanov und Devi arbeiten schon lange zusammen. Bis anhin haben sie aber nur ihre Texte gegenseitig Korrektur gelesen. Der gemeinsame Thriller war ein Experiment, bei dem man sich alles andere als sicher war, ob das funktionieren kann. Während Devi Storyboards zu ihren Geschichten verfasst und alles genauestens plant, schreibt Ivanov lieber einfach mal drauf los und schaut dann, wie sich ihre Figuren entwickeln. Zu Beginn hat sich Ivanov durchgesetzt und sie haben einfach einmal drauf los geschrieben. Das hat einige Kapitel gut geklappt, doch dann musste für Devi ein Minimum an Planung her.

Das Wichtigste war den beiden, dass man am Ende nicht erkennen konnte, wer was geschrieben hat. Devi erklärte, sie hätte beim Überarbeiten die Teile Ivanovs «devisiert», während diese ihre Teile wiederum «ivanovisiert» hat. Das scheint funktioniert zu haben. Ihre Testleser, welche die Texte beider Autorinnen gut kennen, hätten nicht mehr herauslesen können, wer was geschrieben hatte.

Mühe hat den beiden Krimiexpertinnen dann noch der Schluss bereitet, denn sie hätten sich erst nicht darauf einigen können, wer sterben soll. Laut Ivanov sei dieses Sterben aber schliesslich doch sehr organisch passiert. Diese Aussage bringt das Publikum bereits zum Schmunzeln, doch Devi setzt noch einen drauf. Sie werden vielleicht wieder einmal zusammen ein Buch schreiben, meint sie, doch es werde ziemlich sicher keine Fortsetzung sein. Das wäre schwierig, denn dafür hätten zu viele Figuren den «Schockfrost» nicht überlebt.

Zürcher Liebende in der Älpli-Bar

Die Älpli-Bar im Herzen Zürichs ist bekannt für ihre Live-Darbietungen von Schweizer Volksmusik. Am ersten Tag von «Zürich liest» stand aber die Literatur im Vordergrund. Die beliebte Radiomoderatorin Regula «Regi» Sager las aus ihrem Buch «Zürcher Liebesgeschichten. Ein Stadtführer der besonderen Art». Die Volksmusik durfte natürlich trotzdem nicht fehlen, denn Regi Sager ist nicht nur Moderatorin und Autorin, sondern auch eine talentierte Sängerin. So sorgte sie zusammen mit dem Pianisten Stefan Stahel auch gleich selber für die musikalische Untermalung ihrer Lesung.

Als jeder seinen Platz in der sehr gut besuchten Älpli-Bar gefunden hatte, die legendäre Älpli-Milch ausgeschenkt war (ein Freund hat mir eindringlich davon abgeraten, diese Hausspezialität zu probieren, also bestellte ich nur eine Stange), griff Sagers Verleger pünktlich um 19 Uhr zum Mikrofon, um seine Autorin anzukünden – und nahm dabei die Überraschung vorweg, dass Sager passend zu ihren Texten auch ausschliesslich Zürcher Lieder singen werde.

Sager führte das Publikum durch die Zürcher Geschichte und erzählte von Richard Wagners ausserehelichem Schwärmen für seine Nachbarin auf dem grünen Hügel im Enge-Quartier, von Albert Einsteins Liebe zu einer hinkenden Mitstudentin am Polytechnikum, aber auch davon, wie Thomas Mann einen Kellner im Hotel Dolder anhimmelte und zum Abschluss, wie Huldrych Zwingli sich nach Rücksprache mit dem lieben Gott über das Zölibat hinwegsetzte. Dazwischen sang Sager die Lieder «Ich han en Schatz am schöne Zürisee» und «Himmelblaue Züri-Trolleybus».

Der Verleger rühmte Sager als eine der wenigen Autorinnen, die neben dem Schreiben auch gut vorlesen können – wenig verwunderlich angesichts der Tatsache, dass man es mit einer der bekanntesten Schweizer Radiomoderatorinnen zu tun hat. Sager las ihre Texte souverän und unterhaltsam, so dass ihr die volle Aufmerksamkeit der Zuhörerinnen und Zuhörer gewiss war. Nur die etwas sehr forsche Bedienung, die das Aufnehmen von Bestellungen und das Einkassieren unbeirrt fortführte, störte das Erlebnis ein wenig. Aber vielleicht gehört das zum Älpli-Ambiente.

Für uns bei «Zürich liest»:
Lukas Keller

Lukas Keller studiert in Zürich Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft. Inspiration findet er an den verschiedensten Orten. Bei Max Frisch und Frank Miller. Bei Bob Dylan und Kanye West. Bei Bojack Horseman und Fargo. Im Schauspielhaus und beim Word Wrestling Entertainment. Und wenn Zürich liest, dann liest er selbstverständlich mit.

Lukas schreibt auch gerne selber. Nicht viel, aber gerne. Am liebsten auf seiner Hermes Baby. Das Hämmern der Tasten ist für ihn entspannender als das Rauschen des Meers.

Tram fährt er eigentlich nicht so gerne, denn seine langen Beine kann er nur schlecht in die Sitzreihen quetschen, aber wenn im Tram Krimis gelesen werden, macht er eine Ausnahme.