Sci-Fi trifft auf Phantastik im Sachbuchverlag

Autorenkollektive scheinen im Trend zu sein. Mit »AJAR« und »Gravity Assist« sind gleich zwei bei »Zürich liest’17« vertreten. Doch was kommt dabei heraus, wenn ein Unternehmensberater gemeinsam mit einem Account-Manager, einer Psychologin, einem Augenarzt und einer Kommunikationsspezialistin ein Buch schreibt, das diese »selber gerne lesen würden«? Eine Antwort darauf bietet der Debütroman des Autorenkollektivs »Gravity Assist«.

Zu hören waren sie an der Alderstrasse 21, dem Verlagssitz von rüffer & rub. »Seit 17 Jahren machen wir hier tolle Bücher.« Damit eröffnet ihre Verlegerin Anne Rüffer den Anlass. Zunächst thematisiert sie mit den Beteiligten den Entstehungsprozess der »Schwarzen Harfe« – so der Titel des Romans. Mit Nachdruck würdigt sie den 18-monatigen Entstehungsprozess und ruft zum Applaus auf. Der Hauptautor Stefan Bommeli offenbart im Gespräch, er habe schon immer den Wunsch gehegt einen phantastischen Roman zu schreiben. Im Schreibprozess hat er allerdings gemerkt, dass er für sein ehrgeiziges Projekt Unterstützung benötigen würde. Kontinuierlich hat sich Bommeli so Menschen und Kompetenzen an Bord seiner Raumfähre geholt. Zuerst den Freund aus Studientagen, dann die Ehefrau, den Schwager und eine weitere Vertraute. Es sei eh immer um den Roman gegangen, meint Berenice Bommeli. Da habe sie immerhin mitbestimmen wollen.

Die Autoren betonen das Gewicht einer einheitlichen Logik, stimmiger Psychologie und der Anschlussfähigkeit an unsere Welt und sind zuversichtlich, diesen Ansprüchen in ihrem Buch gerecht geworden zu sein. Rüffer gar lässt diesbezüglich keine Zweifel gelten. In der Auseinandersetzung mit dem rot-weiss gestreiften Untier namens »Kupran« offenbart das Kollektiv jedenfalls Phantasiereichtum. Im Gespräch berichten die Debütierenden von ihrer jeweiligen Lieblingsfigur, mit der sie sich stark identifizieren. Sie bezeichnen diese teilweise sogar als ihr »alter Ego«. Das Genre in dem sie schreiben, scheint also Tendenzen in Richtung Auto-Science-Fiction aufzuweisen. Zudem wirken auch tatsächlich romantische Motive hinein. Vielleicht hilft dabei ja der Umstand, dass einer der Koautoren ein Hoffmann im Doppelnamen führt. Als solches phantastisch-romantisches Element erscheinen im Roman metaphysische Träume und die brüchige Grenze zwischen Sinn und Wahn wird neu verhandelt. Die Verbandlung der oft gegeneinander ausgespielten Genren Sci-Fi und Phantastik scheint mithin das grösste Potential für wirklich Neues zu bieten – so die Hybridisierung denn gelingt!

Vergegenwärtigt man sich nochmals, dass Rüffer & Rub eigentlich Sachbücher macht, lassen sich die eingebauten Auszüge aus dem fiktiven »Illban-Allmanach« fast schon als wissenschaftssatirischen Impetus lesen. Vieles im Roman erinnert an bekannte Geschichten der Reverenzgenren. So gibt es etwa auch in der »Schwarzen Harfe« eine Spezies mit zurückgefahrenen Emotionen oder gar eine (Ring-)Handelsföderartion. Im Gespräch zeigt sich Stefan Bommeli bescheiden. Er ist sich bewusst, dass Frank Herberts »Dune«-Reihe, die er bewundert, einen sehr hohen Referenzpunkt abgibt und es anmassend wäre, den eigenen Roman in eine Linie damit zu stellen. Die Verlegerin hingegen verspricht sehr viel und legt dem Publikum das Buch demonstrativ nahe. Ob der Roman über die Standards eines epigonenhaften Machwerks hinausreicht, wird sich mit Beginn der Lektüre zeigen.

Ganz Zürich liest …

Ganz Zürich? Nein! Eine kleine Gruppe von unbeugsamen Heimwehbaslern  hört nicht auf, dem Klischee von der Rivalität der grössten und der «scheenschte» Schweizer Stadt Widerstand zu leisten… So staunte die Redaktion am Samstag nicht schlecht, als plötzlich lautes Trommeln und Gepfeife das Niederdorf erfüllten.

Des Rätsels Lösung: Jedes Jahr lädt die «Fasnachtsclique Basler Zepf Ziri» eine Basler Clique zum gemeinsamen Gässle am «Basler Oobe» ein – und so wurden wir eben Ohrenzeugen des «on y va».

Eine schöne musikalische Abwechslung war das, beim Pendeln zwischen den verschiedenen Veranstaltungsstätten dem «Pfiffe und Drummle» zu lauschen.

 

«Hour of Power» für Dorothy Parker mit Nora Gomringer

«Das Herz ist das Organ, um das es geht bei Dorothy Parker» – so startet Nora Gomringer in den Samstagmorgen. Und ist mit viel Herzblut dabei. Das Setting könnte kaum stimmiger sein, im geschichtsträchtigen Café Odeon am Zürcher Bellevue haucht sie der Lyrik Parkers neues Leben ein. Das Odeon präsentiert sich dabei als eine Art Zürcher Pendant zum Algonquin Hotel, in dem Parker einst ein und aus ging und in dem  New Yorks reputable Journalisten damals ihren ersten Feierabend-Martini tranken.
Stilecht hat auch Gomringer einen solchen vor sich stehen und ist ganz im Stile Parkers gekleidet. An der berühmten «round table» haben sie gesessen, die happy few der New Yorker Kunstszene, die ab dem Frühsommer 1919 regelmässig dort anzutreffen waren. Zeitlich knüpft diese Periode unmittelbar an die Blüte der Zürcher Dada-Bewegung an, die sich bekanntlich im Odeon zu formieren begann. Ohnehin hat das Haus eine reiche literarische Tradition. Heute nun fanden diese beiden Welten zusammen.
Umständehalber aus Basel angereist, bringt Gomringer den ganzen Charme der 30ties und 40ties – vor allem aber den ganz individuellen Charme Parkers – mit nach Zürich. Ganz ergriffen ist die Bambergerin vom scharfzüngigen Charme und ironischen Schalk dieser grossen Lyrikerin, die sie mit 16 Jahren für sich entdeckt hat. «Die musst du lesen, die erzieht zur Romantik», sagte die Mutter damals zu ihr. Erst allmählich hat Gomringer erkannt, wie dies zu verstehen war. Heute nun nimmt sie ihr Publikum ein für diese «ehrliche Frau mit der Fähigkeit, mit wenigen Worten viel Witz zu verbreiten».
 

Die für ihr eigenes Werk bereits vielfach preisgekrönte Dichterin liest auf Deutsch und Englisch, erzählt charmante Anekdoten und trägt die Gedichte als traurig-schöne Jazz-Melodien vor. «Wenn Sie sehen könnten was ich sehe, so viele schöne Gedichte!», sagt Gomringer augenzwinkernd zum Publikum. Die Gedichte handeln meist von unglücklicher Liebe, doch nicht nur. Parker befand sich stets in Gesellschaft eines Dackels mit dunklem Fell. Der letzte dieser Art, der sie bis zu ihrem Tod begleitete, trug den sprechenden Namen «C’est tout.» Ihm widmete Parker ein paar besonders witzige Zeilen, welche die innige, aber auch ambivalente Beziehung von Tier und Mensch andeuten. Ein weiterer Text gibt den inneren Dialog einer Walzer tanzenden Frau wieder. «I’d love to waltz with you», beteuert diese noch, während sie ihren Tanzpartner gedanklich bereits in Stücke reist. 

Lauscht man den emphatischen Realisierungen dieser geistreichen Texte, so kann man sich durch Gomringers leidenschaftliche und authentische Einverleibung letztlich nicht erwehren, diese feinfühlige und bissige Künstlerin lieben zu lernen. Parkers Texte ermöglichen diese Zuwendung zu weiten Teilen gerade auch durch ihren zuweilen erfrischenden Gehalt an Selbstironie. Man spürt aus ihnen  ein ambivalentes Verhältnis zum anderen Geschlecht heraus. Gerade diesbezüglich erweisen sich Parkers selbstkritische Reflexionen als wohltuend. Sie versöhnen einen sofort mit diesem mehrfach gebrochenen Herzen. So lautet denn die zweite Strophe von Parkers Gedicht  «On being a woman»:

 

And why with you, my love, my lord,
Am I spectacularly bored,
Yet do you up and eave me – then
I scream to have you back again?

Gomringer performt aber nicht nur überzeugend, sondern reflektiert ihrerseits die Texte sowie den eigenen Umgang damit. So empfindet sie Parkers «Frustration», womit sie den Lyrikmorgen beendet, als ein aus heutiger Perspektive schwieriges Gedicht. Künstlerisch trägt sie dem in so weit Rechnung, als sie das Gedicht gesanglich adaptiert, wodurch dieses eine neue Dynamik bekommt. Gomringer selbst stellt sich in ihrem Vortrag ganz in den Dienst der Sache, erscheint gewissermassen als Medium, durch das der Geist Parkers spricht. So schliesst man sich ihr gerne an, wenn sie zum Schluss auffordert: «Lesen sie Dorothy Parker!» und wünscht sich, dass dieses Plädoyer schon bald ein «superfluous advice» werde.

 

Kurz nachgefragt

 

Bereits vor einem Jahr stand der Name Gomringer gross im Programm von «Zürich liest’16». Die Ausstellung «Gomringer & Gomringer», kuratiert von Gesa Schneider und Rémi Jaccard im Zürcher Museum Strauhof, gab einen sehr persönlichen Einblick in die Dichterleben von Vater und Tochter Gomringer. Wir vom Schweizer Buchjahr wollten von ihr wissen, wie es ist, wieder in Zürich zu sein, und ob sie viele Rückmeldungen zur Ausstellung erhalten hat. «Ich bin ja kaum angekommen», erwidert sie schmunzelt. Und wirklich, die Dichterin kam am Abend zuvor in Basel an und hat es nach einer kleinen Zug-Odyssee just auf den Start ihrer Lesung ins Café Odeon geschafft. Aber nach so viel Stress gibt es dennoch Entwarnung: Ja, sie erhalte noch immer positive Feedbacks zur Ausstellung des letzten Jahres und wünscht sich, diese an anderen Orten erneut zeigen zu können. Wir drücken die Daumen. 
Fabian von Hermann unter Mitarbeit von Carla Peca

Für uns bei «Zürich liest»:
Fabian Hermann

Fabian Hermann ist nicht hier? Dann ist er wohl auf dem Weg nach Zürich oder bereits für Sie unterwegs bei Zürich liest’17.

Ab sofort sorgt er für interkantonalen Wind, auch in der Redaktion. Kühn eröffnet er das Festival gleich mit. Am Freitag ist er dabei, wenn Lara Stoll neben Franz Hohler hoffentlich nicht plötzlich alt aussieht.

Tags darauf frühstückt er dann erstmal mit Nora Gomringer im Café Odeon Dorothy Parkers Lyrik und hört sich die Frühstücksempfehlung des Hauses an. Gestärkt durch diese geistige Götterspeise findet er anschliessend heraus, was es mit der Schwarzen Harfe auf sich hat.