Alles Linol oder was?

Natürlich liegt Kunst im Auge des Betrachters. So lautet zumindest das Mantra der kreativ zu kurz Gekommenen, welches sie die Existenz zweier linker Hände halbwegs ertragen lässt und es ihnen erlaubt, das NIchtvorhandensein jeglicher künstlerischer Ader geflissentlich zu verdrängen.

Alle Jahre wieder kommt jedoch dieser vielgefürchtete Moment des Eingeständnisses, jener Augenblick, in welchem sich die Wahrheit ihren Weg ins Bewusstsein kämpft und die wohlgehütete Illusion in Schutt und Asche liegt.

Man kann nie sagen wann und wo es passiert; ob am Geburtstag des Sohnes seines besten Freundes oder in der Malstunde einer Selbsthilfegruppe. Gewiss ist jedoch, dass diese Zeit kommen wird.

Für mich war es heute wieder einmal so weit. An einem leicht bewölkten Nachmittag in Solothurn wurde mir meine zeichnerische Unfähigkeit wieder einmal vor Augen geführt. Man könnte meinen, dass die Wahrscheinlichkeit seine Malkünste an den Literaturtagen beweisen zu müssen, relativ gering ist. Nicht jedoch, wenn man sich dazu entschliesst eine Linoldruck-Werkstatt zu besuchen.

Im Kreuzsaal des Restaurants (wie konnte es auch anders sein) Kreuz, wurden ein gutes Dutzend Kinder und drei Erwachsene von der Illustartorin Mira Gysi in die Geheimnisse des Linolschnitts eingeführt. Zusammen mit dem Holzschnitt gehört er in die Kategorie der Hochdrucke. Während der Holzschnitt den Mönchen dazu diente die Seiten ihrer in kalten Klausen kopierten Bücher zu verzieren, fand der Linolschnitt einige Jahrhunderte später bei solch Künstlergrössen wie Picasso oder Matisse grossen Anklang.

Beflügelt vom impressionistischen Geist machten wir uns sodann an, selbst ein Motiv zu entwerfen, dass wir dann später auf eine Linolplatte walzen würden. Unter grosser Anstrengung und fast eine Viertelstunde später hatte ich etwas zustande gebracht, dass wie die geometrische Höhlenmalerei eines Dreijährigen aussah. Nichts im Vergleich zu den sorgfältig gezeichneten Schildkröten, Drachen und Kätzchen, die nun auf auf einer Linolplatte nachgezeichnet und mit speziellen Messern ausgeschnitzt wurden. Nach einer zufriedenstellenden Zählung aller Fingerkuppen wurde schliesslich mit einer Walze Farbe auf die Linolplatte aufgetragen und ein Blatt Papier draufgepresst. Fest darüberstreichen und dem Negativdruck sei Dank, fertig war das Kunstwerk!