Brückentage

Linoleum geschnitzt und SRF-Ragusa gekaut, vierhundert Mal über die Brücke und zurück ins Büro, Ladekabel verlegt und das Schnaufen der verdienten Kolleginnen und Kollegen von der Regionalpresse überhört, im „Kreuz“ noch den neunten Stuhl an den Vierertisch gerückt (und schon beim dritten Bestellbefehl nümmer zusammengezuckt), die launigen Autorinnen-Resümees beim Checkout im Festivalbüro brav für uns behalten, zweihundert Lesungen besucht und über die Hälfte tatsächlich geschrieben. Fast die Hälfte. Mit diesem Beitrag, Nr. 98, endet unsere diesjährige Berichterstattung, nächstes Jahr ist dann die 100 fällig. Mehr bleibt in diesem Jahr nicht zu wünschen übrig, auch an ihrem vierzigsten Geburtstag hielten die Solothurner Literaturtage jeden Anflug von Midlife Crisis angenehm auf Abstand. Nix zu meckern also, nur zu danken: Zuvorderst den Studierenden der Universitäten Zürich und Fribourg, für die, vor allem aber durch die die Projekte „Schweizer Buchjahr“ und „L’année du livre“ gemacht sind. Ohne euch wär’s wieder nichts gewesen, et nous tenons à remercier nos partenaires de „L’année du livre“ et nous nous réjouissons de travailler avec vous l’année prochaine. Zu danken gilt es Julien Reimer für seinen fantastischen Innendienst, den Veranstaltern der Literaturtage, die uns bestens betreut haben, namentlich Reina Gehrig und Martina Keller, zu danken gilt es auch den Autorinnen und Autoren, die auf der Bühne, beim Interview oder in ihren Büchern den Stoff liefern, aus dem unsere Beiträge sind. Und natürlich Ihnen, geschätzte Leserschaft, für Ihre Aufmerksamkeit. Wir sehen, hören, lesen uns – das Buchjahr 2018 hat gerade erst richtig begonnen. Und wem das alles zu schnell ging, darf sich entspannen: Nach- und manchmal auch vorlesen können Sie das, was bleibt, ganz in Ruhe bei uns.

Herzliche Grüsse,

Philipp Theisohn und Christoph Steier

Une invitation à ressentir

« We need a few more minutes » nous dit un membre de l’organisation, « John Banville lost himself ! ». Alors en attendant, je parle avec l’homme assis à côté de moi. Il me fait remarquer que la table surélevée à nappe blanche, sur laquelle un papier noir avec le nom de l’auteur, également en blanc, est accompagné d’un bouquet de fleur, donne vraiment une impression de commémoration. C’est vrai, c’est amusant.

Quand John Banville arrive, il s’assied simplement avec ses feuilles à la main, jette un regard un peu étonné à la vingtaine de spectateurs. Il s’excuse rapidement pour le retard. Je me demande s’il est fâché ou s’il est juste calme. Et il commence par introduire ses lectures. Deux passages de Time Pieces, a Dublin Memoir, paru cette année.

« When does the past become the past ? » Plongé soudainement au cœur de souvenirs. D’une voix monotone et sans expression faciale, John Banville captive le petit groupe pendant les dix minutes que durent ses lectures. Il raconte le son des pas de son père, gardien de garage, dit que s’il se concentre, il les entend. Il raconte des souvenirs d’enfance. Il raconte aussi le décès de sa mère, d’une crise cardiaque. Il raconte sans émotion, en nous jetant des regards étonnés. Il raconte et j’entends le son des pas de son père. Finalement, la table et son aspect commémoratif ne détonnent pas. On est mélancolique et on pense au passé.

Je dois dire que je ne sais toujours pas vraiment quoi penser. La lecture de John Banville était particulièrement courte. Une fois terminée, des autographes lui ont été réclamés très rapidement. Il n’a finalement fait que lire et n’a presque pas parlé. Mais je crois bien que ce qui importait vraiment tenait plus des sensations, des images mentales, des sentiments, que de la compréhension du texte.

Une fois le livre en main, j’ai un peu mieux compris. Les photographies de Paul Joyce qui parsèment l’ouvrage m’ont redonné ces mêmes impressions de calme et de mélancolie que la courte lecture de John Banville. Ce que nous a offert John Banville, c’est une entrée dans l’univers de Time pieces. Une invitation à ressentir.

Aminoël Meylan

Meine Gewalt

Ob es ein unglücklicher Zufall oder symptomatisch gewesen ist, dass die Ehrung Mariella Mehrs nicht nur im Uferbau-Kino, sondern auch im Schatten der Verleihung des Solothurner Literaturpreises anberaumt wurde, ist nicht mehr zu entscheiden. Festzuhalten bleibt indessen, dass trotz der ungünstigen Platzierung viele, sehr viele gekommen sind, um der Hommage, die Corina Caduff, Christa Baumberger und Nina Debrunner vorbereitet hatten, beizuwohnen. In Anwesenheit der Geehrten begann Günter Baumann mit den ersten Zeilen aus Mehrs 2002 erschienenem Roman Angeklagt:

Ich bin im Zustand der Gnade. Ich töte. Ich bin.

Gehören diese Worte im Roman der sicherheitsverwahrten Brandstifterin und Mörderin Kari Selb, so stellen sie an diesem Morgen doch bereits die Weichen: Im Folgenden wird über Gewalt geredet werden müssen. Das ist für sich genommen nicht so schwer, denn der Opferdiskurs, wie ihn jüngst Svenja Goltermann so instruktiv wie gründlich durchleuchtet hat, ist allgegenwärtig und – das klingt seltsam und ist es auch – besitzt auch eine auffällige Publikumsattraktion. Solange man die Rede über Gewalt so kodiert, dass sie in uns die Befriedigung erfüllt, im Lesen, Hören und Sehen selbst Opfer gewesen zu sein, stört diese Rede nicht.

Mariella Mehr ist sich zeit ihres schriftstellerischen Lebens der Problematik dieser Kodierung bewusst gewesen, handelt es sich dabei doch um ein Leben, das durch den marginalisierenden Blick auf das Opfer bestimmt gewesen ist. Nahezu unmöglich bleibt es Mehr, Dichterin – und sonst nichts – zu sein. Ihre Biographie legt sich wie Blei auf die Wahrnehmung ihrer literarischen Produktion. Immer ist sie zuerst das Mädchen, das die Aktion «Kinder der Landstrasse» seinen Eltern entrissen und letztlich in eine jahrzehntelange Tortur geschickt hat, dann ist sie die Jenische – und irgendwann dann ist sie auch noch Autorin. Das ist nicht nur peinlich, sondern im Horizont von Mehrs Poetologie auch vollkommen falsch. Nirgends stellen ihre Texte das Erleiden pathetisch aus, nie betteln sie um Empathie. Es sind Geschichten auf dem Weg zur Tat, zum Sein im Schlag. An einer wichtigen Stelle des Gesprächs schaltet sich Mehr – ohne Mikrophon nur schwer verständlich, aber gerade hierin umso wirksamer – spontan ein: Die «Auseinandersetzung mit Gewalt sei immer eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Gewaltpotential», und das ist ganz und gar nicht pädagogisch gemeint. Vielmehr erhellt Mehrs Einwurf ein Konzept der Souveränität einer Frau, die sich weigert, das Opfer zu sein (oder zu bleiben), das die Welt aus ihr machen möchte. Den Zustand der Gnade erreicht diese Literatur gerade in der Gnadenlosigkeit.

Überzeugen kann man sich von dieser in der Schweizer Gegenwartsliteratur einzigartigen Furiosität seit dem vergangenen Jahr wieder anhand zweier im Limmat Verlag erschienener Bände, von denen der eine Mehrs Trilogie der Gewalt (Daskind [1995], Brandzauber [1998] und Angeklagt [2002]), der andere – unter dem Titel Widerworte von Christa Baumberger und Nina Debrunner herausgegeben – Mehrs journalistisches Werk, ihre Gedichte und Reden vorstellt. Insbesondere die Rezensionen, überhaupt: ihre lesende Biographie kommt hier erstmals eindrucksvoll zum Vorschein und ist mehr als ein Zeitdokument. Ein ganz eigenes, in seiner Metaphorik originelles wie hellsichtiges Verständnis von Literatur zeigt sich hier – als Beispiel sei hier die hingebungsvolle wie kämpferische Auseinandersetzung mit Hermann Burgers Die künstliche Mutter genannt.

Wenn die Gefahr der unfreiwilligen Remarginalisierung Mariella Mehrs auch diesen Morgen einmal heimsuchte (in jenem kurzen Moment, in dem ihre Lyrik unmerklich zur Versprachlichung erlebter «Heimatlosigkeit» heruntergebrochen wurde), so gilt es den Veranstalterinnen dennoch vorbehaltlos und nachdrücklich für diese überfällige Hommage zu danken.

Am 16. Juni wird Mariella Mehr in Glarus/Ennenda der Anna-Göldi-Menschenrechtspreis verliehen werden.

Alles Linol oder was?

Natürlich liegt Kunst im Auge des Betrachters. So lautet zumindest das Mantra der kreativ zu kurz Gekommenen, welches sie die Existenz zweier linker Hände halbwegs ertragen lässt und es ihnen erlaubt, das NIchtvorhandensein jeglicher künstlerischer Ader geflissentlich zu verdrängen.

Alle Jahre wieder kommt jedoch dieser vielgefürchtete Moment des Eingeständnisses, jener Augenblick, in welchem sich die Wahrheit ihren Weg ins Bewusstsein kämpft und die wohlgehütete Illusion in Schutt und Asche liegt.

Man kann nie sagen wann und wo es passiert; ob am Geburtstag des Sohnes seines besten Freundes oder in der Malstunde einer Selbsthilfegruppe. Gewiss ist jedoch, dass diese Zeit kommen wird.

Für mich war es heute wieder einmal so weit. An einem leicht bewölkten Nachmittag in Solothurn wurde mir meine zeichnerische Unfähigkeit wieder einmal vor Augen geführt. Man könnte meinen, dass die Wahrscheinlichkeit seine Malkünste an den Literaturtagen beweisen zu müssen, relativ gering ist. Nicht jedoch, wenn man sich dazu entschliesst eine Linoldruck-Werkstatt zu besuchen.

Im Kreuzsaal des Restaurants (wie konnte es auch anders sein) Kreuz, wurden ein gutes Dutzend Kinder und drei Erwachsene von der Illustartorin Mira Gysi in die Geheimnisse des Linolschnitts eingeführt. Zusammen mit dem Holzschnitt gehört er in die Kategorie der Hochdrucke. Während der Holzschnitt den Mönchen dazu diente die Seiten ihrer in kalten Klausen kopierten Bücher zu verzieren, fand der Linolschnitt einige Jahrhunderte später bei solch Künstlergrössen wie Picasso oder Matisse grossen Anklang.

Beflügelt vom impressionistischen Geist machten wir uns sodann an, selbst ein Motiv zu entwerfen, dass wir dann später auf eine Linolplatte walzen würden. Unter grosser Anstrengung und fast eine Viertelstunde später hatte ich etwas zustande gebracht, dass wie die geometrische Höhlenmalerei eines Dreijährigen aussah. Nichts im Vergleich zu den sorgfältig gezeichneten Schildkröten, Drachen und Kätzchen, die nun auf auf einer Linolplatte nachgezeichnet und mit speziellen Messern ausgeschnitzt wurden. Nach einer zufriedenstellenden Zählung aller Fingerkuppen wurde schliesslich mit einer Walze Farbe auf die Linolplatte aufgetragen und ein Blatt Papier draufgepresst. Fest darüberstreichen und dem Negativdruck sei Dank, fertig war das Kunstwerk!

Im Schwirrflug

Wo Jubiläum draufsteht, stehen Schlangen davor. Schon eine halbe Stunde vor dem als „Jubiläumsveranstaltung“ angekündigten Podium mit der viel beachteten Debütantin Regula Portillo und dem (nicht nur in seiner überfüllten Stammbeiz „Kreuz“) viel begutachteten Peter Bichsel stauen sich die Massen vor der Säulenhalle im Landhaussaal. Zwei Lokalmatadoren, die eine halb so alt wie der andere und nur einen Jahrgang jünger als die Literaturtage, das könnte durchaus einen gehaltvollen Plausch abgeben.

Vor die Retrospektive des Einen und die Ausblicke der Anderen hatte der gute Geist der Literaturtage jedoch auch in diesem Fall einen Moderator gestellt. Dieses selten konfliktfreie Los fiel in diesem Jahr dem Autor Rolf Niederhauser zu, der nicht allein zum dreizehn Jahre älteren Bichsel eine anekdotenreiche Beziehung durchscheinen liess, sondern 1990 selbst ein Buch zu jenem Sujet vorgelegt hatte, an dem sich Regula Portillos Debüt Schwirrflug mit grossem erzählerischen Erfolg abarbeitet: Niederhausers Requiem auf eine Revolution nähert sich den auch von Schweizer Linken in Wort und Tat unterstützen Revolutionsbemühungen im Nicaragua der 1980er Jahre auf der Grundlage von autobiographischen Erfahrungen, während Portillos Roman eine Tochter der nächsten Generation auf eine familiäre Spurensuche schickt, die letztlich zum Sfumato von Fakten und Fiktionen führen wird. Bichsel gibt sich als durchaus sachkundiger Fan des Romans zu erkennen und lobt dessen erzählerische Raffinesse, die keinen Hehl daraus mache, dass es bei aller Exotik letztlich um Schweizer Probleme gehe. Davon hätte man gern mehr erfahren, wurde jedoch stattdessen mit Niederhausers eigenen Erinnerungen an seine Elektrifzierungsversuche einer Schule in Nicaragua beglückt. Dass er angesichts des dortigen Chaos erst zum Schweizer geworden sei, glaubt man dem in den letzten Jahrzehnten beharrlich an einem mehrheitlich noch zu entdeckenden Werk arbeitenden Autor gern, nur hätte man sich vom versprochenen Jubiläum nicht unbedingt die Wiederaufführung längst erprobter Sentenzen erhofft.

Ein Meister derselben ist und bleibt selbstredend Peter Bichsel, der noch immer mühelos einen Saal mit zwei, drei (nicht zum ersten Mal) perfekt gesetzten Pointen auf seine Seite ziehen kann. Das fängt wie üblich beim Milchmann-Band an, den heute angeblich niemand mehr verlegen würde, gleitet über zur Dekonstruktion der Weltläufigkeitsschwindeleien in Schweizer Dichterbiographien der 1960er Jahre und endet bei der Konjunktivitis des Schweizerdeutschen: Beschimpfe er die Schweizer Armee auf Mundart, setze es zwei Leserbriefe, erlaube er sich das Ganze auf Hochdeutsch, folge verlässlich ein Shitstorm. Denn dann sei es ja tatsächlich so gemeint. Das ist alles nicht neu, aber charmant präsentiert. Das Publikum dankt es mit Applaus. Als dank eines Einwurfs von Regula Portillo (dem Moderator wird es hingegen nicht mehr gelingen, Bichsels Performance zu unterbrechen) noch das alte Lied von der unkontrollierbaren Beschleunigung, der stündlich zunehmenden Unübersichtlichkeit und dem darbendem Buchhandel angestimmt werden kann, hat das Publikum auf einigen Umwegen offenbar doch noch bekommen, was es erwartet hatte. Und strebt, hinausbegleitet von der die vielen Stehenden geistig und körperlich erlösenden Schlusspointe, nun selbst zum Opfer des strammen Zeitplans zu werden, zufrieden von dannen.

Überzeugen konnte man sich an diesem „Jubiläum“ also davon, dass Peter Bichsel noch immer Peter Bichsel auf die Bühne zu bringen versteht (und daneben nicht allzu viel Raum bleibt), dass in der zweiten und dritten Reihe der Schweizer Literatur der vergangenen Jahrzehnte durchaus noch Entdeckungen zu machen sind, dass Regula Portillo noch auf der einen oder anderen Shortlist auftauchen dürfte und Solothurn schliesslich auch weiterhin der Ort sein wird, an dem man, wenn auch nicht selten auf Umwegen, am Ende doch das Erwartete bekommt. Das sind nicht selten neue Konstellationen alter und neuer Bekannter. Für Portillos und Niederhausers Nicaragua-Bücher sollte dies jedenfalls nicht die letzte Begegnung gewesen sein, und so dürfte das, was auf diesem Podium Nebensache blieb, auf dem einen oder anderen Lesetisch noch zur Hauptsache werden. Womit, auf längere und damit immer schon literarische Sicht, dann doch ein durchaus fruchtbares Jubiläum gefeiert worden sein dürfte.

Une traduction de fou

 

Le fou du roi. Comme un conte des mille et une nuits mais au XXe siècle, à la cour du roi marocain Hassan II. C’est la parole d’un père, bouffon du roi, dont l’un des fils a été arrêté lors d’un attentat. Et après quelques minutes de discussion, Mahi Binebine explique allégrement à l’assemblée qu’il s’agit bien de son père et de son frère, ce dernier enfermé dans ce qu’il appelle un « mouroir, un camp de concentration presque ». Avec Le fou du roi, le fils prend la voix du père pour le réconcilier avec le frère. Délicat comme démarche non ? Et Mahi Binebine de répondre avec un éclat de rire : « Faut être schizophrène comme les écrivains. Ils sont tous schizophrènes ! »

A côté lui, Regina Keil-Sagawe, traductrice du roman évoque la difficulté de retranscrire en allemand une langue comme celle de Mahi Binebine, parsemée de mots arabes, en un sens, métissée. Il faut prendre les mots directement en arabe pour les reproduire en allemand, explique-t-elle, traduire directement du français ne fonctionne pas.

Mais d’où part le langage du récit ? Mahi Binebine nous parle de francophonie. La langue qu’il utilise est française, mais avant tout marquée d’une vieille culture arabe qu’elle porte en elle. Pourtant, elle n’est qu’un outil. Ce qui importe, c’est ce qu’on raconte avec. Et avec la traduction de cette langue, « parfois on y gagne, parfois on y perd. C’est comme ça ! » Toujours en riant, il explique sa surprise lorsqu’il a appris que la traduction allemande du titre de son roman Cannibales était Wilkommen im Paradies. « Vous voyez, ça n’a rien à voir, mais c’est tout aussi bien ! C’est plus poétique. »

Donc traduire enrichit. Parfois on y perd aussi, mais c’est le jeu. Pour Regina Keil-Sagawe, il y a toujours quelque chose qui échappe et qui résiste à la traduction. Et lorsqu’intrigué par cette affirmation je demande si cette dimension intraduisible est une perte de la traduction, Mahi Binebine rit encore et m’explique que la langue n’est pas un élément fondateur de ses romans. Il l’utilise, il en fait ce qu’il veut, à la rigueur il s’amuse avec, mais la traduction ne vient en aucun cas altérer le contenu.

En partant, Mahi Binebine me gratifie d’un immense sourire. Sa jovialité est contagieuse et c’est aussi en souriant que je cherche Le fou du roi dans les rayons de la librairie.

Aminoël Meylan

Füdleblutte Texte

„I luege so chle zue u i hocke so chle da“, aber zum Glück legt sich mir keine Hand aufs Knie. Im grossen Saal des Stadttheaters warte ich gespannt auf die szenische Lesung aber dir würdigs gä. Kuno Lauener, Frontsänger von Züri West und langjähriger Songwriter, ist wohl gleichsam gespannt. Seine Songs werden heute Nachmittag nämlich zu Worten – ohne Musik, quasi „füdleblutt“.

Auf der Bühne: Ein Tisch, ein Stuhl, zwei Teetassen, hinter grossen Büchern versteckte Elektronikgeräte und Doro Müggler. Die Schauspielerin ist es, die Laueners Texten heute Gehör verschafft. Hinter ihr eine Leinwand, an die Alltagsbilder projeziert werden. Bilder von zerknautschten Doppelbetten, von Teddybären auf Plastikautos, von Sonnenstrahlen, die ihr Muster auf den Zimmerboden zeichnen. Es sind Bilder, wie sie sich wohl auf mancher Familienkamera finden lassen.

Auch Laueners Songtexte stammen meist mitten aus dem Leben. Von der „Schiissluune“, die meist am Sonntag an die Türe klopft, von Dingen, die man sagen soll „solang dis Tram no faart“ oder vom Glück, das einen „irgendeinisch“ findet.

Obwohl man die Texte von Kuno Lauener wohl schon viele Male hörte, sind sie heute anders. Nicht nur weil da, wo wir sonst eine kratzige Männerstimme gewöhnt sind, eine Frau spricht. Sondern auch weil die Worte ohne Musik plötzlich viel gewichtiger erscheinen. Literatur mit Musik zu unterstreichen, das liegt momentan im Trend. Die Songs von Züri West, so schön sie auch sind, hätten die Musik nicht mal nötig.

 

Good lines, good show

„Es geit hie umds Liäbe und umds Stärbe…“ Eine starke Begrüssung – eine starke Poetin, die hier vor uns steht. Babylon Park heisst das Buch, aus dem die Berner Spoken Word-Künstlerin Ariane von Graffenried vorliest.

Mit rau-warmer Stimme erzählt sie von Wölfli (Adolf Wölfli), der eines Tages plötzlich vor der Türe steht. Wirklich ein Wolf, stellt sich heraus, wie bei den sieben Geisslein. Und dann klopfts schon wieder an der Türe, draussen steht die Algebra. Kein erwünschter Gast. Mit ihr habe sie es nie einfach gehabt. „Aber da müese mer düre!“ Eigentlich ist sie aber planlos, weiss nicht, was sie mit den Gästen anfangen soll. „Zwangsreformiert wieni bi, hani afa bätte, aso innerlich.“ Viele weitere ungebetene Gäste kommen, „ine“, sagt sie. Fragt sie sogar noch, ob sie schon gegessen hätten. Schlussendlich fängt die Erde an zu zittern und verschlingt alle. Vierundzwanzig Stunden später findet sie sich in einem schwarzen Loch wieder.

Ein Liebesgedicht sorgt für neuen Schwung. „Bermondsey“ heisst es, nach einem Stadtteil von London. Von Graffenried steht auf. „Her name is Milly“, fängt sie an. Auf Englisch, auf Deutsch, die Sprachen mischen sich, manchmal sogar im selben Satz. Ein Wippen geht durch ihren Körper beim Vortragen der genauso wippenden Sätze. „She knows wie verlieren geht“ und „What she does, she does so well“.

Die Sprachen werden weiterhin gemischt, so auch im Gedicht mit dem Titel „Saint-Jacques-de-Compostelle“: hier trifft Französisch und Frau auf Österreichisch und Mann. Beide haben eine weite Reise hinter sich, aus verschiedenen Gründen. Sie reden zusammen und verstehen sich nicht. Vielleicht reden sie mehr für sich selbst. „Tu veux une bière? J’ai soif.“ Dann imitiert Von Graffenried den österreichischen Dialekt: „Auf Wanderschaft, gell, erlebst du die Welt ja irgendwie direkter.“ Er erzählt und erzählt… „In Toulouse hab i den Blues ghabt!“ Begeistertes Kichern im Publikum. Die Spoken-Word Poetin steigt vom Podest runter und fährt fort. So ist sie dem Publikum näher und ihre Sprache noch lebendiger.

„Zum Abschluss no es Gedicht, es churzes.“ Noch so gerne! Es heisst „Babylon Park“ und hat wohl dem Buch seinen Titel gegeben. Es geht um die komplizierte Beziehung zum eigenen Dialekt. Hier geht nun alles drunter und drüber, Sprachen und Dialekte türmen und zerkratzen, durchkreuzen und verwischen sich. Sie setzt sich „next to Mister Perfect, my dialect.“ Eine Hass-Liebe verbindet sie mit ihrem Dialekt. „Mon malade imaginaire“. Sogar sprechen kann man mit ihm: „Los, sägeni. Laisse-moi faire!“. Aber der Dialekt lässt sich nicht zähmen. „I mim Oberstübli isch es Puff!“, soviel dazu.

Wozu all diese Sprachverwirrungen taugen, ist dann doch klar: „You know… Good lines, good show.“

 

Flüchtige Gäste

Düstere Stimmung am letzten Solothurner Lesetag, Wolken ziehen über den Himmel. Trotzdem versammelt sich eine beachtliche Anzahl Menschen vor der Aussenbühne. Mit kurzem „Ja“, als Begrüssung und schnellem Hinsitzen ist der Anfang gemacht. Angelika Overath zückt ihr Buch und liest uns eine Geschichte aus ihrem 2017 erschienenen Buch Der Blinde und der Elephant.

„Der flüchtige Gast“, so heisst die erste Geschichte. Der Sohn findet einen Vogel und bringt ihn nach Hause. Dort päppeln sie ihn wieder auf. „Er sitzt auf meiner Goethe-Ausgabe, Goldschnitt, und scheisst!“ sagt der Vater. Nicht alle nehmen den Distelfinken gleich wahr. Aber er gehört nun zur Familie. Ob man will oder nicht.

„Noch eine Tiergeschichte!“, sagt Overath. Tiere sind hier die Helden. Und Hunde im Speziellen. „Nur ein Hund“ heisst die Geschichte. Hunde zeigen nicht, dass sie leiden. (Macht das denn den Helden aus?) „Er war eine Sie“, mit rotem Fell. Und dann wurde Sie krank. Es geht um den Moment, in dem eine Frau den eigenen, zur Familie gehörenden Hund einschläfern muss. Ein so menschlicher Moment. Man gibt ihm nochmal etwas Gutes zu essen und schämt sich. Dann kommt der Tierarzt und gibt ihm eine Spritze. Ernst-betroffene Gesichter im Publikum. Die Pointe: Die Frau möchte auch so sterben wie der Hund, denn es war ein ruhiger Moment. „Das kannst du nicht“, meint ihre Freundin dazu.

Applaus und schneller Abgang der Autorin. Auch sie war ein flüchtiger Gast.

Der allerletzte letzte Schnee

Arno Camenisch spricht hier im deutlich heruntergekühlten Solothurn am letzten Tag vom letzten Schnee  – wie passend. Die Stadt scheint noch etwas in Katerstimmung zu sein, es ist ruhiger als in den vergangenen zwei Tagen vor dem Landhaus. Der Landhaussaal hingegen ist gut gefüllt. Arno Camenisch ist ein Name, der die Leute anzieht.

Valeria Heintges, die Moderatorin der heutigen Lesung, bedankt sich erst bei Camenischs Bruder, der ihn davon abhielt seinem eigentlichen Berufswunsch, Koch, nachzugehen. Sie erzählt von seinen bisherigen Werken, von seinem Weg, um schliesslich seine Lesung (oder wie sie es nennt: Performance) anzukündigen. Wie sich sein Buch nur schwer in eine Gattung pressen lässt, lässt sich auch sein Auftritt scheinbar nicht unter dem Begriff Lesung einordnen.

Und Camenisch beginnt. In seinem kratzigen Bündnerdialekt führt er uns in die Szenerie von Der letzte Schnee ein. Paul und Georg, die beiden Protagonisten, stehen vor dem Skilift in den Bergen und unterhalten sich. Sie unterhalten sich über dies und das. Über die Skifahrenden, die doch jetzt bald einmal kommen sollten, über Stimmenzähler mit Diskalkulie, die „höhere Mathematica“ betreiben, über Sinalco-Sonnenschirme und Lehrer, die vom Pult aus auf Vögel schiessen oder den Schülern die besten Noten gaben, deren Schulhefte von der Treppe aus am weitesten flogen.

Camenisch liest meist frei mit grossen Gesten. Zu Beginn etwas hektisch, läuft er sich langsam warm, lässt sich mehr Zeit und beginnt mit dem Text zu spielen. Seine Lockerheit tut dem Text gut. Die banalen Alltagsszenen gewinnen an Witz, Paul und Georg werden zu charmanten Bergkäuzen. Das Publikum dankt es dem Autor mit Gelächter an den richtigen Stellen und kräftigem Applaus. Die Sympathien im Saal hat er auf seiner Seite.

Camenischs Buch erzählt nicht viel oder wie es ein Besucher nach der Lesung auf den Punkt bringt: „Da kannst du das ganze Buch lesen, aber viel passiert da nicht.“ Aber es erzählt Wichtiges. Die Probleme des Bündnerlands, so einzigartig es auch sein mag, seien eben die Probleme der ganzen Welt. Der letzte Sch**** war das definitiv nicht.