Promenade à la Künstlerhaus

Si vous passez par la Schmiedengasse, vous tomberez sur une petite maison à la vitrine joliment décorée. Un personnage annonce dans une bulle : JARDIN. En poussant la porte de la Künstlerhaus, on découvre l’univers d’Albertine, entre ses fleurs aux couleurs vives et les longues créatures qui traversent ses dessins. Visite de l’exposition avec Agathe et Louise.
Au rez-de-chaussée, on découvre suspendus deux jardins séparés par un mur de briques : d’un côté, un homme tond sa pelouse impeccablement entretenue, de l’autre un jardin aux mille plantes colorées s’épanouit. Dans un autre cadre, un homme et une femme sont réunis dans une clairière : ils se regardent, la robe blanche se détache de l’ombre nocturne des arbres. Il y a chez Albertine cette attention à l’individu, cette écoute du personnage qui même au milieu de l’imagination foisonnante de l’illustratrice sort du décor et semble interpeller le spectateur. Plus loin, les fleurs et les végétaux se font plus rares, ce sont des étendues d’eaux monochromes, mais on y trouve toujours un homme, qui se baigne ou contemple, assis sur un rocher, ces espaces solitaires. Albertine elle-même affirme que son projet est né de cette volonté de placer ses personnages dans des postures méditatives, seuls face au monde, dans une attitude communicative de tranquillité et de réflexion. Et effectivement, on se prête à inventer des pensées aux petits hommes colorés, quand ce n’est pas toute leur vie.
Depuis les jardins d’Albertine, on emprunte l’étroit escalier qui craque pour se retrouver embarqué dans de bizarres rondes en noir et blanc qui rappellent l’univers de Jérôme Bosch. On se touche, on se serre, on se chevauche, l’homme aux bras-visages, dans le coin d’un cadre deux petits personnages enfantins étrangement reliés par une corde, là-bas une femme à trois têtes barbues. On traverse la salle en compagnie de ces êtres de cauchemar, à la fois effrayants mais d’une étrange familiarité qui nous les rendrait presque attachants. Ce sont toujours les détails qui attirent l’œil, des jeux décalés auxquels se prêtent certaines chimères jusqu’à la forme de leurs chaussures (il n’y en a pas deux semblables !).
On termine au troisième étage par une collection plus personnelle et hétéroclite, avec des portraits de Germano Zullo, des petits dessins qui se déplient des carnets de l’illustratrice, sur l’un la reproduction de la Vénus d’Urbin de Titien, sur l’autre la répétition de motifs abstraits bleu et rouge. La diversité des exercices présentés fait écho à l’œuvre d’Albertine, florissante, parfois surprenante, et dont l’originalité parvient toujours à trouver son chemin vers le spectateur. C’est avec regret que l’on quitte la charmante Künstlerhaus et son escalier poétique, encore un peu étourdies par cette promenade dans les jardins d’Albertine.

Agathe Herold & Louise Moulin

«Niemand besitzt ein grösseres Vermögen als die Öffentlichkeit». Gespräch mit Lukas Bärfuss

Kulturveranstaltungen wie die Solothurner Literaturtage setzen sich aus öffentlichen Anlässen zusammen, die im Programmheft nachgeschlagen werden können, aus denen man nach Belieben auswählen, sich zu gegebener Zeit am entsprechenden Ort einfinden kann. Daneben gibt es allerdings auch Anlässe, die der Öffentlichkeit nirgends angekündigt werden, trotzdem allerorten zum Gesprächsthema avancieren und die Berichterstattung auf einen noch unsichtbaren Nebenschauplatz lenken. Im Rahmen seiner Jahresversammlung am Donnerstag hat der Verband Autorinnen und Autoren der Schweiz (AdS) neben anderem mit einer grossen Mehrheit eine „Resolution für eine verantwortungsvolle Vergabe des ‚Schweizer Buchpreises’“ gefordert. Darin fordern die Autorinnen und Autoren die Trägerschaft des Schweizer Buchpreises auf, qua Anpassungen im Reglement mehr Unabhängigkeit und Transparenz zu schaffen. Nachdem die Buchpreis-Trägerschaft in einer Medienmitteilung ihr Bedauern über das Vorgehen des AdS zum Ausdruck gebracht hatte, erläuterte Lukas Bärfuss – der am Freitag ebenfalls in Solothurn weilte – im Gespräch mit Shantala Hummler die Hintergründe der Resolution.

Die vom AdS verabschiedete Resolution fordert eine unabhängige Jury. Kann dies gewährleistet werden? 

Jeder Mensch hat seine eigenen Vorstellungen von der Welt und vertritt seine Interessen. Das soll so sein. In einer Jury müssen diese Ideen offen und frei diskutiert werden können. Deshalb dürfen ausschliesslich Mitglieder an einer Jurysitzung teilnehmen. Ein Auftraggeber, der über das Preisgeld und die Zusammensetzung der Jury bestimmt und an diesen Sitzungen teilnimmt, verstösst gegen die Regeln der «Good governance». Die Trennung der verschiedenen Gremien sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

Die Unabhängigkeit, die in der Resolution des AdS gefordert wird, beschränkt sich also auf diesen Unterschied zwischen Jurymitglied und Nicht-Jurymitglied?

Nach dem heutigen Reglement wird die Jury durch einen sogenannten Leitungsausschuss bestimmt. In diesem sitzen die GeschäftsführerInnen des SBVV und der LiteraturBasel.  Wenn die Geschäftsführer nun gleichzeitig über die Jury-Diskussion informiert sind, wird eine Kontrolle möglich. Genehmes Verhalten kann mit einer Neuberufung belohnt und ungenehmes entsprechend bestraft werden. Es ist übrigens völlig unklar, was die Veranstalter während dieser Sitzungen machen. Zuhören und schweigen? Haben sie nichts anderes zu tun? Sollten sie nicht ihre Arbeit machen?

Die Frage ist doch, ob diese gerechten und transparenten Verhältnisse grundsätzlich möglich sind. Die Entscheidungsfindung von Jurys findet ja immer in einem beschränkt fairen und transparenten Rahmen statt.

Dieser Rahmen ist das Reglement.  Deshalb sind für gute Buchpreise gute Reglemente unabdingbar. Nehmen wir die Rolle der Medienvertreter. Der Buchpreis hat starke Medienpartner: das Schweizer Fernsehen und die NZZ am Sonntag. Gleichzeitig sitzen Angestellte dieser Unternehmen in der Preisjury. Hier drohen Interessenskonflikte. Das heutige Reglement behauptet, die Jurymitglieder seien ad personam gewählt und nicht als offizielle Vertreter der Medienpartner. Das Schweizerische Obligationenrecht ist da anderer Meinung: Es formuliert die Treuepflicht des Arbeitsnehmers. Deshalb sollte Angestellte der Medienpartner von der Jurymitgliedschaft ausgeschlossen sein.

Was sind die nächsten Schritte nach der Verabschiedung der Resolution des AdS?

Die Trägerschaft des Schweizer Buchpreises ist weiterhin aufgerufen, sich ein Reglement zu geben, das dem eigenen Anspruch genügt. Es liegt in ihrer Verantwortung. Wir, einige Preisträger, haben dem Buchpreis bereits vor Monaten konkrete, juristisch wasserdichte Vorschläge gemacht.  Jetzt gibt es die Resolution des AdS, die einen klaren Weg weist. Ich bin zuversichtlich, dass die Trägerschaft nun die nötigen Schritte einleitet. Schliesslich haben wir ein gemeinsames Interesse.

Worin besteht dieses übergeordnete Interesse, das du ansprichst?

Die literarische, die kritische Öffentlichkeit. Dass wir uns als Gesellschaft kritisch auseinandersetzen – zum Beispiel über Literatur. Wir tun dies auch anhand der Preise, die vergeben werden. Die Qualität dieser Auseinandersetzung, dieses Gesprächs, hat leider deutlich gelitten. Es scheint heute oft keinen Willen zu geben, Zusammenhänge herzustellen. Wer über ein Buch spricht, sollte unter anderem in der Lage sein, dieses Buch mit anderen Büchern zu vergleichen. Das geschieht heute kaum mehr. Die Kritik beschränkt sich einerseits auf die Nacherzählung der gelesenen Bücher. Und sie wird immer häufiger persönlich und kritisiert nicht die Werke, sondern die Künstler, und leider häufig in einer ganz unerträglichen Art.  Wir alle müssen uns um eine Diskussion bemühen, die dem Gegenstand angemessen ist.

Würdest du also sagen, dass die Schweizer Literaturkultur letzten November bei den Ereignissen rund um die Vergabe des Schweizer Buchpreises eine Art Tiefpunkt erreicht hat? 

Wer dabei war, erinnert sich nicht gerne daran. Aber es geht um grundsätzliche Entwicklungen. Der Strukturwandel ist längst nicht abgeschlossen. Die privaten Medien wissen nicht, wie sie ihr Geld verdienen sollen. Die Öffentlich- Rechtlichen sind durch die politischen Angriffe verunsichert. Online gibt es viele gute Initiativen. Die meisten sind nebenberuflich, also unfinanziert. Kunst und ihre Kritik sind eine komplexe Sache. Es braucht Sorgfalt, Zeit und Geld. Wenn unsere Gesellschaft auf die Auseinandersetzung mit der Kunst verzichtet, entzieht sie sich der eigenen Grundlage. Und dazu darf man die Kräfte nicht vergessen, die diese kritische Auseinandersetzung nicht wollen, sie zu verhindern versuchen, um die eigene Deutungshoheit durchzusetzen.

Dort liegt eine problematische Verschaltung: die Menschen, welche die Deutungshoheit innehaben, verfügen oft über die entscheidenden finanziellen Mittel. Wie kann also einer Prekarisierung der Kulturschaffenden entgegengewirkt werden?

Niemand besitzt ein grösseres Vermögen als die Öffentlichkeit. Jeder Künstler ist aufgerufen, sich an diese Öffentlichkeit zu wenden. Sie wird zum Partner. Ein Künstler lebt vom Brot der Öffentlichkeit. Gerade deshalb ist die Resolution des Autorenverbandes so wichtig: es geht nicht um ein Partikularinteresse, es geht um die gemeinsamen Strukturen. Es bleibt die Aufgabe, das übergeordnete Interesse zu formulieren. Die Solothurner Literaturtage sind aus dieser Idee entstanden: Jenseits der Konkurrenzsituation einen Ort zu schaffen, an dem man sich frei austauschen und streiten kann. Ich hoffe sehr, dass die Trägerschaft des Schweizer Buchpreises dieses Zeichen verstanden hat.

Ein ruhiges Fliessen

Während draussen die Aare gelassen vor sich hinfliesst, machen sich drinnen im Landhaussaal sowohl Publikum wie auch der Mann der Stunde, Christian Haller, in schweizerischer Ordentlichkeit für die Lesung bereit. Fein säuberlich legt eine Frau ihr „Öpfelpütschgi“ in ein Papiertaschentuch, eine andere zupft die über den Stuhl gehängte Jacke des Vordermanns zurecht und Christian Haller öffnet seine schwarze Umhängetasche, aus der er sorgsam seinen neuen Roman Das unaufhaltsame Fliessen hervorzieht.

Nach Die verborgenen Ufer ist dies der zweite Teil einer geplanten Trilogie, in der Haller seinen Weg zum Schriftsteller nachzeichnet. Der Roman wirkt fast noch ordentlicher als die Vorbereitungen zur Lesung. Jeder vorgelesene Ausschnitt ist darauf ausgelegt, sein Stück zum Werdegang des Autors beizutragen. Das Fliessen hin zu seinem Ziel war trotz verschiedener Rückschläge dann eben doch unaufhaltsam.

Zunächst wäre da die Begegnung mit der Witwe des bisher zu wenig beachteten Schriftstellers Adrien Turel. Fasziniert vom anarchischen Denken, das er in den Manuskripten des Verstorbenen antrifft, beschliesst Haller, sich um dessen Nachlass zu kümmern. Durch die Beschäftigung mit den Texten kommt es bei Haller zu einer ersten ernsthaften Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften. Später wird er Zoologie studieren. Wie Haller im Gespräch mit Karin Schneuwly bekanntgibt, hatte die Naturwissenschaft und insbesondere das wissenschaftliche Schreiben einen grossen Einfluss auf seine Arbeit als Schriftsteller. Dadurch habe er gelernt, sich einfach und klar auszudrücken. Ein Schreiben, das ohne Redundanzen zum Kern der Sache vordringen soll.

Literarischen Input erhält Haller im Anschluss an ein Abendessen mit Georg Kreisler. Der bereits gestandene Künstler erklärt sich dazu bereit, Hallers Texte zu lesen und ihm ein schonungsloses Feedback zu geben. Brieflich teilt Kreisler ihm mit, dass er ihn „leider ermutigen muss“ weiterzumachen. Das Publikum lacht. Der Altmeister schafft es auch noch über seinen Tod hinaus, für Unterhaltung zu sorgen.

Schliesslich kommt Haller auf die Globuskrawalle zu sprechen. Eine Schlacht, wie Haller beschreibt, zwischen Demonstranten und Polizisten, bei der sich der angehende Autor in die Rolle des Beobachters gedrängt sieht. Anstatt nach einem Pflasterstein zu greifen, um diesen gegen die Polizisten zu schleudern, entschliesst er sich dagegen. Und das obwohl er ein guter Werfer sei. Er war sogar so gut, dass es er eine Spezialausbildung im Militär als Handgranatenwerfer machen durfte. Erneutes Lachen macht sich im Publikum breit. Doch – wen wundert’s – Haller will lieber mit Worten und Sprache um sich werfen und nicht mit Pflastersteinen.

Im anschliessenden Gespräch nimmt Karin Schneuwly eine Frage auf, die auch dem ersten Kapitel vorangestellt ist: „Wo stehe ich heute auf meinem Weg, vier Jahre nach dem Entschluss, Schriftsteller zu werden?“ Sie fragt ihn, wie er diese Frage heute beantworten würde. Er sei angekommen, ansonsten hätte er sich auch gar nicht dazu in der Lage gefühlt, eine Autobiographie zu schreiben, in der er seinen Weg zum eigenen Schaffen Revue passieren lässt. Das merkt man. Es ist die Biographie eines arrivierten Schriftstellers, der am Ende seiner Suche angelangt ist. Das Fliessen in die Schriftstellerei zeigt sich in jeder der beschriebenen Stationen. Mitgerissen wird man dabei als Leser jedoch nicht. Zu harmonisch und verklärt wirkt Hallers Blick auf seinen Werdegang. Das Lesen gleicht mehr einem sanften Treibenlassen. Das ist in Ordnung, mehr aber auch nicht.

De la traduction et beaucoup de sang, vous avez dit ?

Qu’elle soit libre ou littérale, l’image que l’on a de la traduction n’est pas forcément glamour pour tout le monde. Certains diront peut-être même « Quelle importance ? Je ne lis que dans une langue ! » On pourrait s’arrêter là, et affirmer que les goûts et les couleurs ne se discutent pas. Mais ce serait compter sans les joutes littéraires auxquelles ont pris part Raphaëlle Lacord et Valentin Decoppet ce vendredi. Eh oui, un affrontement et beaucoup de sang, ça ne laisse personne indifférent !

Et c’est peut-être ça, le plaisir de traduire : confronter sa traduction à celle des autres, et défendre ses choix. Mais cela ne s’arrête pas là, et selon les jouteurs, il y a d’autres raisons d’apprécier la traduction.

Le bonheur de la découverte

Les extraits imposés aux jouteurs étaient tirés de 3511 Zwetajeva, livre écrit par l’auteur et poète allemand Levin Westermann. Ils avaient deux mois pour réaliser l’exercice, deux mois pour explorer le texte et l’interpréter. Et forcément, disent les traducteurs, ne pas connaître toutes les références auxquelles fait appel le texte permet de nombreuses interprétations. Mais cela n’a pas semblé être une difficulté insurmontable pour ces explorateurs de la langue.

Le plaisir de la traduction

Selon Victor Hugo, le fait de traduire s’apparente à transvaser un liquide d’un vase à col large dans un vase à col étroit. Il s’en perd toujours… Si Raphaëlle Lacord et Valentin Decoppet ont tenté de ne pas en perdre une goutte, ils ont dû faire des choix: lexique, syntaxe, sonorités, et même registre de langue !

D’ailleurs, vous qui lisez cet article, qu’auriez-vous privilégié pour traduire « Und auch die Orchideen » ? Auriez-vous penché pour « et aussi les orchidées », « et les orchidées aussi » ou « et les nénuphars aussi » ? Ah! on sent que ça vous titille!

Les jouissances de la confrontation

Soyons honnêtes, un spectacle, ça se prépare. Cependant, parler de duel, ou même de catch américain, ce serait pousser la métaphore un peu loin. Ça ne signifie pas pour autant que l’on vous ait menti, c’était bien une joute, mais… non il n’y avait pas d’issue prévue, ni de vainqueur ou de vaincu à l’horizon. La traduction, c’est un art, un art noble ! on ne se salit pas les mains avec. D’ailleurs, les traducteurs avaient déjà confronté leur version autour d’un verre.

Cependant, c’est bien lors de la joute qu’ils ont dû répondre des choix qu’ils avaient faits pour les passages qui comportaient des difficultés. Ah ! Le voilà, le vrai combat, celui qui se fonde sur une argumentation solide ! ou à défaut, une argumentation fallacieuse, mais convaincante…

Vous l’aurez compris, la joute était le meilleur prétexte qui soit pour vous donner un aperçu séduisant du long cheminement que connaît un traducteur entre sa première découverte du texte, et son émergence dans une autre langue.

 

Kein Streit

„Joute de traduction“ heisst die Veranstaltung, an der eine Übersetzerin und ein Übersetzer in den Ring treten und ihre jeweilige Wortwahl verteidigen sollen. Die übersetzten Textpassagen stammen aus Levin Westermanns Gedichtsammlung 3511 Zwetajewa. Valentin Decoppet und Raphaëlle Lacord treffen sich zum Duell und werden sich um Worte streiten, so die Erwartung.

Doch der Moderator Yves Raeber warnt vor: Der Ausdruck „rompre une lance“, „eine Lanze brechen“, könne man ja auch auf zwei Arten verstehen. Einen Gegner töten, könne es heissen, auch aber eine Lanze brechen für jemanden, als Zeichen des Respekts und der Freundschaft. Freundschaftlich geht es zwischen den beiden die ganze Stunde über zu. Was als „joute“, als Turnier oder Wettstreit angelegt ist, wird eher zum freundlich-vorsichtigen Abtasten.

Die beiden Parteien geraten sich einfach nicht so richtig in die Haare. Im zweiminütigen Verteidigungstakt bringen sie Argumente an, weshalb sie einen gewissen Textauszug so übersetzt haben, wie sie ihn übersetzt haben. Wie haben die beiden zum Beispiel „Urzustand“ übersetzt? Die Spannung steigt, die Blicke sind auf die Leinwand gerichtet. Dann erscheint der Text, Decoppet und Lacord lesen ihre Vorschläge vor. Lacord hat sich für „l’état premier“ entschieden, während Decoppet „l’état originel“ bevorzugte. Doch dies bleiben Vorschläge, und oft können sie die Übersetzung des anderen auch ganz gut nachvollziehen.

Raeber versucht immer mal wieder, das Feuer zu entfachen und sie zum Streit anzustiften: „Maintenant il faut tout donner!“, „Jetzt müsst ihr alles geben!“, betont er gegen Ende nochmals. Immer noch kein Streit. Vielleicht heisst alles zu geben in der Übersetzung auch einfach nicht, das Beste zu finden und auf Gedeih und Verderben zu verteidigen, sondern das Gute immer wieder umzudrehen, von allen Seiten her anzuschauen und zu befragen.

Juhui – jemand stirbt und Frauen gibt es auch

Der Freitag neigt sich langsam seinem Ende zu, man hat viel erlebt und noch mehr gehört. Die Festivalbesucher_innen flanieren zwischen den Lesungen umher und nicht wenige finden sich im Uferbau wieder. Dort will das Duo Dietiker/Diller mit einer Mischung aus Spoken Word und Klangteppich das Publikum betören.

Pino Dietiker, der Aargauer Texter, und Jul Dillier, der Obwaldner Musiker, nennen ihr Oeuvre Planer und Flaneur. Vier Texte sollen das Zusammenspiel von exakter Planung von urbanen Räumen und das entspannte Flanieren und Sinnieren miteinander verbinden und Gegensätze aufheben.

Vielversprechend beginnt Dillier mit seinem E-Piano rhythmische Klänge in den dunklen Raum zu senden. Das Publikum ist bald umhüllt davon und es scheint nur natürlich, dass Dietiker beginnt, von einer Zugfahrt zu erzählen. Das Stück ist ein Wechselspiel zwischen Gedanken und Beobachtungen im Zug und einem Bericht über einen Vater, der es nie geschafft hat, das Eigenheim fertig zu stellen. „Er war ein Bauherr der nicht Hausherr werden konnte“, sagt Dietiker melancholisch.

Immer morbider werden die Bilder. Das Altglas im Keller wartet auf die Wiedergeburt, die Schuhe im Haus sind das Letzte, was ein Toter auszieht. Im Zug rasieren sich Menschen und gehen der Nagelpflege nach. „Unterwegs zu Hause“, zitiert Dietiker die Deutsche Bahn. Unaufgeregt endet das Stück, das grosse Fühlen hat nicht eingesetzt, obwohl das Duo alle Tasten bedient. Das Makabre, den Tod des Vaters, den Ekel beim Zugfahren. Zu emotionslos und monoton bleibt das Vortragen Dietikers und je länger, desto undeutlicher wird’s. Mitreissende Spoken Word Performances sehen anders aus.

Mit dem nächsten und titelgebenden Stück „Planer und Flaneur“ setzt sich die Qualitätsabwärtsspirale der Aufführung fort. Dietiker erzählt von Legotürmen und Städten, Wachstumsblasen und Bettlern. Dabei bedient er sich allerlei überverwendeter popkultureller Referenzen wie „Houston, we have a problem!“, Super Mario und ganz vielen weissen Schafen mit einem Schwarzen dabei. Das irritiert und es ist beinahe unmöglich, dem Stück zu folgen, ohne sich immer wieder daran zu stossen. Es tauchen ebenfalls erste Repetitionen auf. Wiederum spielt er mit makabren Bildern und wiederum ist der Tod prominent platziert. Menschen bringen sich um in Grossstädten. Erste Besuchende beginnen nun den Uferbau zu verlassen.

Das dritte Stück behandelt die „Éoliennes“ von Saint- Imier. Die Riesenwindräder drehen sich auf dem Berge und der Held fährt hinauf zu ihnen. Wie zu erwarten, verwendet Dietiker auch hier die offensichtlichsten Metaphern. Don Quixote de la Mancha und die Himmelfahrtsthematik werden regelrecht ausgeschlachtet. Der Held wurde versetzt und sucht Trost bei den „Éoliennes“. Versetzt wurde er von einer Frau, die auch noch Spanisch sein muss und dazu Simone de Beauvoir liest. Die Diskreditierung der feministischen Spanierin misslingt Dietiker, der versucht, ihre Oberflächlichkeit durch ihren Tindergebrauch und Schuhbesitz zu entlarven. 2018 sollten selbstbestimmte, sexpositive Frauen auch im Spoken Word Universum angekommen sein. Wiederum muss jemand sterben im Stück. Wiederum ist es Suizid. Weitere Besuchende verlassen den Raum.

Jetzt wäre die Vorstellung eigentlich fertig – doch das Duo lässt sich noch zu einer Zugabe hinreissen. Das hätten sie lieber gelassen…

Wir sind wieder in der Stadt. Doch die Stadt ist eine Frau. Eine Frau, die man(n) bewandern kann und brauchen darf. In dieser Stadt tanzen Seiltänzer auf den Stromkabeln der Trolleybusse, die „in Schlafzimmer alleinstehender Frauen eindringen.“ Das Grundwasser der Stadt kommt natürlich aus den steinernen Brüsten der Frau und muss unglaublich hart sein. Es stapeln sich Frauentorsos am Strassenrand, die bei Brand Wasser spritzen. Die Strasse ist gespickt von „Warzenhöfen“. Was man ebenfalls in dieser Stadt finden kann, sind „mundgerechte Wurfgeschosse“ (sic!). Das sind weisse, spermienähnliche Kaugummiflecken am Boden. Ein Wunder, dass die Kaugummis nicht auch noch irgendwo in einem vaginalen Loch der Stadt verschwinden. Ungefragt natürlich. Immerhin hat sich in diesem Stück niemand umgebracht.

Erleichtert verlassen wir Besuchenden den dunklen Raum und kehren in die aufgeklärte Welt zurück.

Gepflegter Trash

Zwei Verlage präsentieren am Solothurner Freitagabend Schund- und Groschenromane fiktionaler Autor_innen. Wir haben uns amüsiert.

Den Anfang macht der Verlag die brotsuppe. Zu zehnt werden in einer ersten szenischen Lesung Perlen des Trashs wie Eine wie keine – oder wie Winnie Grok zum Wunder wurd [sic!] von Raul Rabbassi vorgetragen. Unser Favorit war aber Blut im Mississippi – Vol 1. Die Köter des Todes von Dan D. Dutch. Darin geht es haarsträubend zu – eine lüsterne Witwe «drückt die Zigarette neben dem Sarg ihres Mannes aus» und versucht noch an Ort und Stelle einen unerfahrenen und sehr (!) jungen Buben zu verführen. So viele Tabus auf so wenig Text!

Nach einer Pause empfängt uns das Literaturmagazin Narr mit seiner Auswahl von Groschenromanen zurück. Die Nacht der Todeshandys und Ein Sonnenstrahl kommt selten allein – Verliebt in raue Hände überbieten sich. Dabei tut den Texten die zusätzlich karikierend wirkende szenische Lesung nicht nur gut – es wäre mutiger gewesen, die Texte für sich sprechen zu lassen. Zwischen den Texten werden urkomische Zusammenschnitte fast identischer Kinoszenen (wie durch Dritte gestörte Kussszenen) abgespielt. Diese streichen heraus, dass hier einerseits die relative Einfallslosigkeit der seriellen Groschenromane auf die Schippe genommen werden soll. Andererseits stellt sich dabei auch die Freude am Wiedererkennen von Stereotypen ein, die wohl auch zum Reiz eines einigermassen reflektierten und durchironisierten Trashkonsums gehört.

In diesem zweiten Teil wirkt die Formelhaftigkeit der Groschenroman-Vorlagen besser getroffen, ihre Auswahl parodiert mit grösserer Präzision, aber etwas weniger wilder Fabulierlust. Das lässt die Narr-Texte intelligenter wirken, fast auf groteske Weise analytischer, aber auch ein wenig kühler. Schade, blieben bei diesem Fest des gepflegten Trashs so viele Stühle leer, denn wir waren uns einig: Die pulp fiction bescherte uns kurzweilige drei Stunden mit liebevoll nerdigem Schund.

Marco Neuhaus, Julia Sjöberg 

Tip topi Flip-Flop

Die grosse Menschenmenge vor der Solothurner Landhausquai-Aussenbühne lässt es vermuten: Hier ist ein Könner am Werk. Dieser Könner heisst Pedro Lenz, der beim Publikum für verdiente Begeisterung sorgt. Lenz, dieser grosse Mann, setzt sich für seine Kurzlesung nicht hin. Er steht in voller Grösse da, wohl zur Freude der Zuschauenden in den hinteren Reihen.

Er spricht in seinem Auftritt aus, was wir uns manchmal so denken – zwischen den grossen Gedanken. In seinen Passagen aus Hert am Sound menschelt es gewaltig. Angefangen bei den „Gschwelti“, die er „gschwind“ machen will, kommt er zu Crèmeschnitten. Über den Zuckerguss dieser Crèmeschnitten kommt er zu einem Radiosender, der die beste Musik spielen soll. Denn dieser Zuckerguss passe so viel besser auf Crèmeschnitten als in die immergleichen Songs auf besagtem Radiosender mit ihrem „Shalala“ und „Shake your body“.

Immer wieder kommt er mit seinen Gedankengirlanden auch auf „Tip topi Flip-Flop“. Er hat solche tip topi Flip-Flop nämlich an den Füssen einer bildhübschen Frau auf der Strasse gesehen und fragt sich, ob seine Mutter nie solche tip topi Flip-Flop gekauft habe. Und wenn ja: wieso nicht? Weil es sind so tip topi Flip-Flop! Schlussendlich kauft er sich selber ein Paar tip topi Flip-Flop und geht damit in der Stadt herum. Auf diesem Rundgang begleitet ihn die Frage, warum wir so viel „Längizyti“ haben, wo das Leben doch so kurz sei.

Oder er entdeckt einen Zettel, auf dem ein Hund vermisst wird. Dieser Zettel hängt jedoch unglücklicherweise im Glasfenster eines asiatischen Take-aways, was einen ungewollten Gedankenstrom in Gang setzt. Hat man da nicht mal was gelesen von Asiaten, die dem Grillieren von Hunden nicht ganz abgeneigt seien? Also weiter zu den Shops auf dem Weg zum Bahnhof, die dann dummerweise aber doch wieder Hot-dogs verkaufen. Ungeschickt.

Diese Gedankenströme, bei denen ein Geistesblitz auf den nächsten folgt, werden von Lenz in einem für das Berndeutsche fast unvorstellbaren Tempo mit wippendem Fuss und locker schwingendem Körper vorgetragen. Das Lachen des Publikums folgt deshalb stets etwas zeitverzögert – aber es folgt mit Sicherheit. Und das nicht nur, weil der Redner in Berndeutsch referiert. „Mir löi si chalt, di chalte Kafi“, fügt er zwischen zwei Gedanken noch an. Was er hier geboten hat, lässt jedoch keinen kalt.

Olivia Meier, Selina Widmer

Der Geschichtenerzähler

Auf dem Zeitplan vor der Aussenbühne beim Landhausquai ist Robert Prosser mit seinem Roman Phantome angekündigt. Das Rednerpult jedoch ist leer. Das Publikum wird langsam nervös, hektisch spricht eine Mitarbeiterin der Literaturtage ins Telefon: „Robert, du hättest jetzt eine Lesung.“ Kein guter Start für den österreichischen Autor? Keineswegs, das Warten lohnt sich! Denn das Buch, das auf dem Tisch des Aussenpodiums liegt, bleibt zu: Der Autor rezitiert zwanzig Minuten lang aus seinem Roman. Auswendig. Robert Prosser spricht rhythmisch mit hartem, rollenden R. Seine Hände kreisen vor dem Gesicht, sie betonen jedes Wort.

In seinem Buch schildert Prosser den Jugoslawienkrieg und dessen Folgen in der heutigen Zeit. Sein Blick ist erhoben, er schaut direkt ins Publikum und erzählt vom verbotenen serbischen Dreifingergruss, vom Begräbnis eines dreifarbigen Pferdes, das vergiftet worden ist und der rechten Hand eines Cousins. Diese wurde in einem Massengrab in der Nähe von Srebrenica gefunden und sei ein Platzhalter geworden für die ganze Person.

Der Roman ist dreigeteilt: den ersten und letzten Teil bilden Monologe von einem Graffitikünstler und einem Kriegszeitzeugen. Unterbrochen werden sie von einem Bericht von Krieg, von Flucht und dem Aufbruch in ein neues Leben in Wien.

Nach zwanzig Minuten ohne einmal zu stottern oder aus dem Takt zu fallen, klatscht das Publikum den verdienten Beifall, der lange anhält. In den abflachenden Applaus hinein merkt Prosser noch an: „Ich habe zwei Namen verwechselt. Doch da ich zu Beginn den falschen nannte, wollte ich nicht mehr wechseln, um sie nicht zu verwirren. Nur dass Sie beim Lesen des Romans nicht überrascht sind.“ Den Roman lesen – das kann man nur jedem empfehlen.

Olivia Meier, Maya Olah

Nach der Lesung zu uns: Interview mit Jens Steiner

Jens Steiners Roman Mein Leben als Hoffnungsträger spielt auf einem Recyclinghof. Es geht ums Wegwerfen, ums mehr oder weniger legale Wiederverwerten und schliesslich um die Frage, was Protagonist Philipp leisten will oder nicht. Selina Widmer traf den Autor zum Gespräch.

Sie hatten am Freitagmorgen schon eine Lesung ihres neuen Romans Mein Leben als Hoffnungsträger. Sie haben sehr lebendig gelesen. Sind Sie einfach talentiert, oder ist das hart erarbeitet? 

Ich habe als Student schon Theater gespielt, das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass mir die mündliche Form der Literatur auch wichtig ist. Es ist auch wichtig fürs Schreiben, das Lautlesen, ich mach das ständig beim Schreiben, vor allem in der Schlussphase lese ich oft laut. Da hört man noch viele Dinge, oder sieht man auch viele Dinge, auch syntaktische Fehler und so. Dinge, die mit dem Zusammenhang zu tun haben, mit der Dramaturgie – auf allen Ebenen entdeckt man Fehler, wenn man laut liest. Deshalb ist es ein Arbeitsinstrument. Und dann kommt der Aspekt dazu, dass ich einfach sehr gerne Leuten vorlese.

Lesen Sie dann auch für sich laut, um sich vorzustellen, wie es für den Leser ist, den Text vor sich zu haben?

Natürlich. Ich lese für mich laut, zum Redigieren des Textes, und immer auch in Hinblick auf die Leser.

Was ist für Sie hier in Solothurn an den Literaturtagen der Höhepunkt?

Dieses Jahr mache ich so viele Sachen, und die sind alle ganz spannend. Ich bin mit einem Kinderbuch hier, ich habe Montag bis Mittwoch aus meinem Kinderbuch vorgelesen. Und heute habe ich aus diesem Hoffnungsträger-Buch vorgelesen und die meisten meiner Freunde finden: Das ist doch der Höhepunkt des Ganzen. Aber das finde ich jetzt nicht unbedingt. Ich mache ganz viele spannende Sachen, gerade vorhin hatten wir ein Gespräch über Kinderliteratur, am Samstag bin ich bei Skriptor, da diskutieren verschiedene Leute über einen unveröffentlichten Text. Ich kann also nicht sagen, dass es einen Höhepunkt gibt.

Und von den Kollegen und Kolleginnen, hören Sie sich da was an? 

Ich versuche es. Ich habe heute so viel, dass ich noch nicht weiss, wie viel ich jetzt noch schaffe. Ich habe auch nicht gut geschlafen letzte Nacht. Aber ich werde sicher noch dazu kommen, das interessiert mich sehr, Lesungen von Kollegen anzuhören.

Sie haben aber jetzt noch keine Liste der Veranstaltungen, die Sie unbedingt besuchen möchten?

Zwei, drei, so. Ich nehme mir nicht zu viel vor. Wen ich sicher nochmals hören will, ist Judith Keller. Da will ich unbedingt hin. Dann ist da noch eine Lyrikwerkstatt, wo ich auch hingehen möchte. Ich finde Werkstattgespräche für mich fast interessanter als die Lesungen.

Diskussionen, an denen es ums Schreiben geht, also.

Ja genau, ums Schreiben.

Haben Sie dieses Jahr ein Buch für sich entdeckt, lesender Weise? Oder sind sie eher am Schreiben als am Lesen?

Nein, nein, ich lese schon auch immer, aber ich lese nicht so viele Neuerscheinungen. Ich schaff’s einfach nicht. Weil die Bücherstapel mit alten Büchern, die bleiben immer gleich gross, oder es kommt sogar noch mehr dazu. Ich habe aber vor zwei Wochen tatsächlich eine Neuerscheinung gelesen, von Monika Maron. Munin oder Chaos im Kopf heisst das Buch. Ich habe viele Jahre nicht mehr Monika Maron gelesen, und ich bin begeistert, ich find’s sehr schön, dass ich die Autorin quasi wiederentdeckt habe. Ich habe zwanzig Jahre nichts mehr gelesen von ihr, und es ist ein sehr schönes Buch. Auch ein sehr zeitbezogenes Buch, ich finde es spannend, was für Themen sie da aufnimmt. Dass wir uns gegenseitig ständig stressen und zu nahe kommen, uns empören über die anderen, dass wir ständig gereizt sind, keine Grenzen mehr haben im öffentlichen Raum. Diese Dinge, die heute doch sehr aktuell sind, nimmt sie auf sehr interessante Weise auf.

Mit ihrem Buch Mein Leben als Hoffnungsträger, hatten Sie da ein spezielles Erlebnis, beim Schreiben oder bei Lesungen?

Ein spezielles Erlebnis gab es nicht, nein. Aber ganz interessant finde ich, dass alle Zuhörer eine eigene Geschichte vom Recyclinghof zu erzählen wissen. Alle kennen das und alle begreifen erst beim Lesen meines Buches, was da so drinsteckt. Man geht da ja in der Regel hin und so schnell wie möglich wieder weg. Und erst bei meinen Lesungen merken die Leute: Ah, da sind ja noch ganz spannende Geschichten dahinter. Da ist viel mehr, über das man nachdenken kann, und das finde ich ganz schön. Der Recyclinghof ist ja sonst eher ein Nicht-Ort.

Sie beschreiben diesen Recyclinghof sehr genau. Haben Sie auch schon da gearbeitet?

Ich wollte das, habs tatsächlich versucht. Aber das ist heute nicht mehr so einfach, zumindest da, wo ich es versucht habe, in der Stadt Zürich. So einen kleinen Sommerjob da zu bekommen, das ging dann nicht. Aber ich habe oft dagestanden. Ich war einfach da und hab‘ zugeschaut. An verschiedenen Orten, vor allem da wo ich lebe, aber auch in Deutschland und Österreich. Es funktioniert überall ungefähr gleich.

Philipp, der Hauptcharakter Ihres Buchs, der auf dem Recyclinghof arbeitet, ist er für Sie der typische Vertreter der Generation, die in den 90er Jahren geboren ist, also wir hier?

Auf diese Diskussion will ich mich eigentlich lieber nicht einlassen. Denn ich finde es auch ärgerlich, dass wir Älteren die ganze Zeit die junge Generation definieren, wir sagen Generation X, Generation Y, Generation was weiss ich. Und meistens ist es eben gerade nicht so, wie wir meinen. Wir liegen meistens falsch mit unseren Urteilen, finde ich. Aber um jetzt doch noch darauf einzugehen: Ich finde, dass dieser Philipp eher untypisch ist für die Generation. Ich nehme die Leute zwischen zwanzig und dreissig eher so wahr, dass sie sehr ambitioniert sind und früh schon wissen, was sie wollen. Da ist Philipp das Gegenbeispiel. Aber ich möchte das nicht so einengen auf diese Diskussion. Ich wollte keine These aufstellen über diese Generation.

Finden Sie denn selber, dass Ihr Roman sehr gesellschaftskritisch ist, oder sehen Sie ihn auf einer anderen Ebene angesiedelt?

Ich finde, die Leser müssen das selber entscheiden. Natürlich sehe ich viele dieser Aspekte kritisch an. Ich glaube, das spürt man schon als Leser, dass ich auch ziemlich angeekelt bin von dieser hirnlosen Verschwendung. Aber man hat heute als Autor tatsächlich das Problem: Wie betreibe ich Gesellschaftskritik? Tatsächlich wollte ich es ursprünglich eher dokumentarisch anlegen. Die Anfangsabsicht war, einfach nur zu beobachten und das niederzuschreiben. Wer kommt, was bringen sie, wann gehen sie. Aber ich bin beim Schreiben dann plötzlich abgedriftet. Ich hatte dann irgendwann Lust, diese persönliche Geschichte des jungen Mannes zu erzählen. Aber das war am Anfang nicht die Absicht. Ich wollte eher im Sinne der Dokumentation kritisch sein.

Aber dann wollten Sie doch noch, dass die persönliche Geschichte dazutreten kann?

Ja, weil die auch in einem Zusammenhang mit dem Geschehen auf dem Recyclinghof steht. Es sind ja zwei Themen, die im Buch miteinander einhergehen: Wegwerfgesellschaft und Leistungsgesellschaft. Da ist Philipp doppelt betroffen. Als Mitarbeiter auf dem Recyclinghof und mit seiner Biographie, mit der Frage: Will ich meine Biographie gestalten oder will ich mich einfach treiben lassen? Verweigere ich mich aktiv, oder sage ich einfach, ich geh meinen kleinen Weg und kümmere mich nicht? Das sind die Fragen, die da zusammenkommen.

Ganz grundsätzlich, wie gehen Sie an ein Buchprojekt heran?

Mit ausprobieren, mit verschiedenen Textfragmenten, die ganz lose nebeneinander wachsen. Ich kann nicht nur vom Konzept her denken, sondern ich muss das schreibend entwickeln. Der konzeptuelle Gedanke und das Schreiben entwickeln sich Seite an Seite, da gibt es kein systematisches Vorgehen.  Zum Beispiel die Figuren: Manchmal kommen sie von selber, manchmal muss man sie aber auch konzipieren.

Wo schreiben Sie denn am liebsten? 

Ich habe bis vor kurzem immer in Universitätsbibliotheken geschrieben. Das wird allerdings zunehmend schwieriger, weil es immer weniger Platz hat. Jetzt habe ich aber seit zwei Jahren ein Atelier, das ich von der Stadt Zürich miete, subventioniert, für fünf Jahre, dann muss ich wieder raus. Das ist wirklich toll und ich versuche das zu geniessen, es ist am See, in der Roten Fabrik. Aber in zweieinhalb Jahren muss ich eine neue Lösung finden. Und zuhause finde ich es immer schwierig. Rausgehen und wo anders schreiben ist schon gut.

Wussten Sie schon immer, dass Sie mal schreiben möchten?

Ich habe schon auch davon geträumt, als Kind und Teenager. Aber mein familiärer Hintergrund ist sehr weit von dieser Art Arbeit entfernt. Der Traum war also da, aber es war total unrealistisch. Das hat dann lange gedauert. Ist aber auch nicht schlecht so. Heute gibt es Autoren, die mit Anfang zwanzig ihr erstes Buch publizieren. Ich will ihr Talent nicht in Abrede stellen, aber die haben ja bis dahin noch gar nicht richtig gelebt. Bei mir hat es wie gesagt etwas länger gedauert. Ich habe unterschiedliche Sachen gemacht, ich war Lehrer, und dann habe ich auch als Verlagslektor gearbeitet. Eine Weile lang habe ich dann beides gemacht, als Lektor und Autor gearbeitet. Und dann habe ich gemerkt, dass das in der Schweiz eine schwierige Stellung ist, weil ich da auch Kollegen kritisieren muss. Dann habe ich das aufgegeben, und seit viereinhalb Jahren mache ich jetzt nur das. Bücher schreiben.

Denken Sie, dass Sie auch ein Hoffnungsträger sind?

Ich hoffe es eigentlich nicht. Ich bin der Träger meiner Hoffnung, dass ich kein Hoffnungsträger bin.

Vielen Dank, Herr Steiner, dass Sie sich für das Gespräch Zeit genommen haben.