A une passante – Top Ten der aufgeschnappten Zitate

Eine Menge wurde gelesen, eine Menge gesagt. Und damit auch nicht vergessen geht, was alles so beiläufig dahin geredet wurde in den Warteschlangen und Zuschauermassen, halten wir fest: die Top Ten willkürlicher Zitate, die man nicht unbedingt hätte aufschreiben müssen. Oder doch?

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Amsél – Wiedersehen in Tanger

Dass Amséls photographisches Talent ihr schriftstellerisches noch überragt, zeigt sich bereits in den wenigen vorgelesenen Zeilen. Starke und sprechende Bilder einer in Fleisch und Erde wiederkehrenden Welt im letzten Licht des Ramadan stehen bisweilen peinlich unverhüllten didaktischen Eskapaden gegenüber: islamische Theologie, Etymologien, Kulturwissenschaftliches und natürlich dürfen auch die grossen Zusammenhänge zur Weltgeschichte in den Nebensätzen nicht fehlen. Es ja nicht ungewöhnlich, dass Erstlingswerke sich schwer tun der Versuchung zu widerstehen, die Welt zu erklären, anstatt sie zu zeigen und zu schaffen. Und es stellt sich natürlich immer wieder die Frage, ob Ersteres überhaupt in den Aufgabenbereich eines Schriftstellers gehört, schliesslich stehen aus anderen Disziplinen reichlich phantasielose und analytische Denker dafür zur Verfügung. Nichtsdestotrotz – Amsél hat auch etwas zu bieten.

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En attendant Göldin

Hüt heissts Rap-Showdown – HipHop trifft uf Literaturfestival – Göldin und Big Zis! Nume Göldin’s missing… abr keis Problem, d’Rapperin Big Zis bewiist Flexibilität und improvisiert: Tanz de Räge! Du treisch sLache als Uni-uni-uniform. Big Zis schaffts sbildete und au eher ältere Publikum zfasziniere mit ihrer Rhythmusgwalt, Satzmelodie und Wortvielfalt. Abr ned nur das, sie stellt sich au de Frage usem Publikum wo zerst no zögerlich aber denn immer muetiger chömed.

Chauvinismus im Rap? Das isch hüt ned viel anders wie früener, es git di einte und di andere. Es gaht drum sich zverkaufe mit Videoclips. Grad au Fraue, wo ihre Sex verkaufed unds Befreiig nenned, isch fürd Big Zis en zweischniidigi Sach, aber Manneärsch verkaufed sich halt ned. Mit de Klischees im Hiphop het sie scho vo Afang a gern gspielt und abgrechnet. De Rap het sie azoge – de Sexismus, Chauvinismus und und Neoliberalismus findet sie unmögli. Hüt het sie mit ihrem Rap en eigeti Welt gschaffe wo sie di eigentlich Szene gar nüm so intressiert.

Wie entstönd ihri Text? Schriftlich und ned mündlich zum Erstuune vom Publikum. Und stets mit emne Bispiel a Musigg als Basis, nachher wachst das ganze fast scho organisch zäme. Ihri Text treit sie komplett uswendig vor. Ihres Gedächtnis seg wiene Lagerhalle, alles schön in Regalgstell sortiert. Sie bereuts ned chönne Schlagzüg und Gitarre zspiele, und somit ned komplett unabhängig zsi vo andere, aber grad das Zämespiel machts wertvoll. Für ihri „Limitiertheit“ isch sie au dankbar.

Wie isches für sie Teil vomne etablierte Literaturfestival zsi? En Ritterschlag, isch die ironischi Antwort vo de Big Zis. Endlich seg sie acho i de Hochkultur, sowie ja au de Bob Dylan de Nobelpriis bercho het. Aber die einte wüsseds villech no: dBig Zis isch bereits vor drü Jahr am Solothurner Literaturfestival uftrete.

D’Sympathie vom Publikum het dBig Zis mit ihrer direkte Art und ihrer Ironie scho lang gunne. So lacht sPublikum au, wo sie meint, sie heg doch iz de doppelti Lohn verdient, da de Göldin ja uf sin Teil verzichtet. Zum Abschluss bringt sie no es paar Bispiel us ihrne früenere Raps. Si git debi Acht, ned die zpräsentiere wo si hüt Abig am 6i no zum Beste wird gäh. Und mit es bizeli Glück taucht au de Göldin für die musikalisch literarischi Performance uf.

 

Bärfuss ist eher Vogel als Ornithologe

«Schön, dass doch noch ein paar gekommen sind», sagt der Moderator Stefan Humbel ironisch zu dem gefüllten Landhaussaal, vor dem sich bereits eine halbe Stunde vor Lukas Bärfuss‘ Lesung eine Schlange gebildet hat. Den gefeierten Autor einmal aus seinem neusten Roman «Hagard» lesen zu hören ist ein Erlebnis, bei dem die manchmal auch sperrige Geschichte neu zu erfahren ist. Bärfuss blüht im gehässigen inneren Monolog des Protagonisten Philip förmlich auf, wenn dieser wie ein Gejagter im öffentlichen Verkehr vor den gelben Westen der Kontrolleure flieht und die halbe Welt beschimpft. Ohne eine Miene zu verziehen und mit einer Sprachmelodie, die erst beim Vorlesen zum Vorschein kommt, bringt Bärfuss mit seinem Text den ganzen Saal zum Lachen.

In Bezug auf den Romantitel «Hagard» – was in der Falknerei für einen unzähmbaren Wildfang steht –, beschreibt Bärfuss sich selbst im kurzen Gespräch mit Humbel eher als Vogel denn als Ornitologen. Beim Schreiben sei er wie ein Jäger, der ausharren und auf seine Beute warten muss. Dabei beschäftigt Bärfuss die Frage, woher sich ein Autor das Recht nimmt, mit seinen Figuren so umzugehen? Vor allem Frauen in bürgerlicher Literatur fallen ihren Autoren zu Opfer wie etwa Madame Bovary, die grauenvoll am Boden verenden muss. Bärfuss fragt sich, was es dem Publikum gibt, diese Figuren so leiden zu sehen? Entweder sei es die Empathie oder eben einfach Schadenfreude. Er vergleicht das mit dem unverschämten Gefühl der Leichtigkeit, wenn man von einer Beerdigung nach Hause gehe und froh ist, dass es einen selbst noch nicht erwischt habe. Diese Überlegungen zeigen sich im Roman in der Fokussierung auf die Erzählfigur, welche ihr Verhältnis zur Geschichte von Philip immer wieder reflektiert.

Flurin Jecker sagt siebenmal Nein

Obwohl er zum ersten Mal an den Solothurner Literaturtagen aus seinem Debütroman «Lanz» liest, lässt sich der 26-jährige Flurin Jecker in keine Schubladen stecken. Auf beinahe jede Frage der Moderatorin Karin Schneuwly antwortet er mit einem bestimmten „Nein“ und lässt diese am Schluss etwas ratlos zurück. Im Protokoll liest sich das etwa so:

Ist dein Debutroman «Lanz» eine stille Verneigung vor Büchners «Lenz»?

Nein, ich habe dabei gar nicht an dieses Buch gedacht. Natürlich hatte ich beim Schreiben auch andere Literatur im Kopf, aber als eine Hommage ist «Lanz» nicht zu lesen.

Die Flucht des Protagonisten Lanz aus der Projektwoche aufs Land ist ja schon fast eine politische Haltung, im Sinne von: geht von der Schule weg und findet euch…

Nein, das ist nicht politisch. Vor allem ist es harmlos. [Lanz packt einen Tag vor Ferienbeginn seine Sachen ohne seinen Eltern ein Wort zu sagen und fährt mit dem Zug ins Bündnerland zu seinen Verwandten.] Meine These ist eben gerade, dass die Jugendlichen nicht immer schlimme Sachen tun wollen, wie etwa ein Auto klauen, wie das alle erwarten würden. Lanz findet sein Glück in altmodischen Sachen, wie Gespräche oder die Verbundenheit mit der Natur – in dem er mit seinen Cousins etwa Maulwurfhügel sucht. Dadurch findet er wieder zu sich selbst.

Idealisierst du damit nicht das Land gegenüber der Stadt?

Diese Gefahr besteht, aber ich glaube es geht bei dieser Flucht viel mehr darum, dass Lanz nicht mehr nur in seinem Kopf lebt. Und dass er zu einem Ort voller Kindheitserinnerungen zurückkehrt. Das könnte auch in der Stadt geschehen.

Das Hauptthema der Jugendlichen ist ja Sex…

Nein, dem würde ich widersprechen. Ich bin ja jetzt 26 Jahre alt und die Faszination dafür hat immer noch nicht aufgehört. Deshalb sollte Lanz nicht darauf reduziert werden. Er will ja auch nicht eine vögeln, sondern viel lieber mit einem Mädchen schreiben.

Handelt es sich dabei etwa um eine Ödipusgeschichte?

Nein, die Versöhnung von Lanz mit seiner Mutter findet statt, weil er am Ende der Geschichte seine Lebendigkeit wieder findet und deshalb die Verbindung zu ihr wieder sucht.

Ist das Buch als eine stille Kritik der Überreizung der Jugendlichen durch die sozialen Medien zu lesen?

Nein, im Gegenteil. Es geht ja vor allem ums Schreiben, was ja völlig «reizunterflutend» ist. Meine These ist, dass Lanz diese Reize eben nicht braucht und vor dieser Überflutung eher flüchtet.

Das Buch hat ja eine ganz eigene Sprache. Hast du zu diesem Zweck 14-jährige beim Sprechen beobachtet?

Nein, überhaupt nicht. Viele haben mit zwar diesen Tipp gegeben, aber das hat mich überhaupt nicht interessiert. Das wäre ja auch unsinnig, da sich Sprache immer so schnell weiterentwickelt. Um dies einzufangen ist der Literaturbetrieb ja viel zu langsam. Die Sprache sollte nicht einer spezifischen Zeit, sondern der Hauptfigur des Romans treu bleiben. Kein Jugendlicher heute würde etwa das das Wort «ultra» benutzen, aber Lanz nehme ich das ab.

Die Schweiz in den Wechseljahren

Das erste Schlendern durch die Solothurner Altstadt führt mich über die Kreuzacherbrücke zum Aussenpodium am Klosterplatz. Hier platze ich in eine Performance von Patti Basler – die wie ich im nachhinein herausfinde, zu den etabliertesten Poetinnen in der Schweizer Slamszene gehört und zur Zeit gerade mit ihrem Programm «Frontalunterricht» unterwegs ist. Aus diesem stammen auch die Texte, welche die gelernte Sek-Lehrerin aus dem Fricktal zum Besten gibt. Ganz im Stile des Poetry Slam spielt sie mit dem Klang der Sprache und bringt mit ihrem ersten Text, der eine kritische Anrede an die Schweiz ist, die Vorbeigehenden zum Innehalten und das bereits im Schatten sitzende Publikum zum Lachen. «Madame la Montagne, Sie sind in den Wechseljahren!» posaunt sie ins Mikrofon und stellt bedauernd fest: «Es ist vorbei mit den fruchtbaren Tagen.» Auch der Einzug der digitalen Medien in den Schweizer Alltag bleibt nicht unkommentiert: «Laut schreit nur noch Tripadvisor.»

Auf diese Rede an die Heimat folgen Erinnerungen an ihre massive Primalschullehrerin Fräulein Scheidegger, für die sie eine Berganalogie nach der anderen findet. Der Text endet mit dem gleichen Satz, mit dem er anfängt, nämlich der Lieblingsaussage von Fräulein Scheidegger: «Wichtig ist nicht, wer es macht, sondern dass es gemacht wird» – was mit der Fantasie endet, die Lehrerin mit einer von ihr angepriesenen Wortkette zu erwürgen.

Nach diesem Pointenfeuer hat es der nächste Redner Marcel Reber nicht leicht. Auch beim eine Generation älteren Schauspieler aus der Berner Kleintheaterszene  geht’s um Pädagogik, verknüpft mit Politik und dem Wetter – was leider ausser ein paar witzigen Wortspielen nicht so mitreissen mag. Doch gerade das weite Spektrum und die unterschiedlichen Beiträge, die hier einen Platz finden, gefällt an diesem Format des Aussenpodiums, wo sich jeder frühmorgens eintragen darf, um für 15 Minuten die kleine Bühne für sich zu haben. Lässt dabei die eine Pointe ein bisschen zu lange auf sich warten, kann der Zuhörer ungeniert weiterschlendern, was auch eine Form literarischer Basisdemokratie ist.