„Der bedrohliche Glanz des Leidenschaftlichen“

„Ich stand vor ihm, konnte nicht mehr sprechen, sah nicht mehr seine Jugend, sondern steckte auf einmal wieder in meiner eigenen, wir waren gleich alt, gleich unerfahren, ich war verstockt und schüchtern, wollte gerade die Hand ausstrecken, da schwang plötzlich der Boden, mir war schwindelig, die Lampe flackerte, jemand kam auf der Brücke auf uns zu, ein Mann, wer war das bloß, einer vom College oder ein townie? Es war weit nach Mitternacht, ich drehte mich weg, wollte nicht erkannt werden, drückte mich an das Geländer, spürte das Holz an meiner Wange, es war absurd.“ Es ist dies eine der Szenen, die Zora del Buono im Landhaussaal an diesem Freitagnachmittag aus ihrem neuen Roman Hinter den Büschen, an eine Hauswand gelehnt (C.H. Beck, 2016) vorliest. In ihrem fünften Roman, der mit dem Anerkennungspreis der Stadt Zürich ausgezeichnet wurde, wagt sich del Buono gleich an zwei Themen, über die man nicht ohne Weiteres reden darf, „weil sie eigentlich nicht sein dürfen“. Schauplatz ist der Campus einer Universität an der Ostküste Amerikas im Sommer 2013. Die 50-jährige Vita Ostan gibt einen siebenwöchigen Journalismuskurs und verliebt sich in Zev Swartz, ihren begabtesten Studenten, der nicht halb so alt ist wie sie. In diesem Sommer enthüllt Edward Snowden, bald weltberühmt, das Ausmass der weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken amerikanischer Geheimdienste. Noch nie scheint Politik so sehr in die Wohnzimmer der Bevölkerung einzudringen wie jetzt, und sie tut es auch ins Schulzimmer Vita Ostans – und spaltet die Lager: „Edward Snowden ist ein Held“, schliesst Zev sein Referat, den „bedrohlichen Glanz des Leidenschaftlichen“ in seinen Augen. „Edward Snowden ist ein Verräter“, entgegnet eine andere Studentin. Das Ineinandergreifen von Privatem und Öffentlichem inszeniert del Buono in diesem Roman auf raffinierte Weise: Wenn Vita Ostan darauf gefilzt wird, weil sie sich verdächtig gemacht hat, spiegelt sich das Grosse im Kleinen. Del Buono ist an diesem Freitagnachmittag gut gelaunt. Sie erzählt locker, aber engagiert und mit einer beinahe persönlichen Betroffenheit und scheut im Gespräch mit Moderatorin Valeria Heintges nicht vor den heiklen Themen zurück, die sie literarisch verhandelt hat.

In jenem politisch aufgeregten Sommer 2013 war auch die Autorin Zora del Buono in den USA und gab eine Sommerschool in Journalismus. Über Snowden wurde ihres Erachtens viel zu wenig diskutiert. „Wir finden es ja schon selbstverständlich, dass wir überwacht werden.“, meint del Buono und gibt fortan immer weitere autobiographische Parallelen preis: „Ich war empört, dass niemand empört war. Und da gab es einen Studenten, der auch empört war.“

„Ich wollte über uns reden, über die Unmöglichkeit des uns“, lässt Zora del Buono in einer weiteren Passage ihre Protagonistin denken. Doch an deren Statt spricht sie von Vladimir Nabokov und Thomas Mann. Del Buono verarbeitet den Diskurs, in den sich ihr Roman einreiht, gleich mit in ihren Text, obschon in verkehrter Ordnung. Das männlich dominierte Genre vom Klischee der Liebe zwischen einem älteren Professor und einer jungen Studentin mischt del Buono neu auf und bespricht auf unverbrauchte und ehrliche Weise dieses Verlangen und die Unvernunft: „Das was fasziniert, hat mit der eigenen Jugend zu tun, wie man selber war und wie man sein möchte.“

„Die Frau ab 40 wird als sexuelles Wesen gar nicht mehr wahrgenommen. Man sagt, „sie sieht ja noch gut aus für ihr Alter“, anstatt einfach „Sie sieht gut aus.“. Der Körper der Männer hingegen ist seit jeher weniger wichtig als der weibliche. In unserer Gesellschaft ist die Beziehung zwischen einem älteren Mann und einer jüngeren Frau gesellschaftstauglich, andersherum ist es schwierig und wird oft im selben Atemzug mit dem Ödipuskomplex genannt. Dabei: Was ist so schlimm daran? Was verwerflich am Bedürfnis nach etwas Mütterlichkeit?“, fragt del Buono ins Publikum.

Mit Selbstironie, Leidenschaft und sehr viel Ehrlichkeit erzählt Zora del Buono an diesem Nachmittag von den Grenzen des Privaten und Öffentlichen und deren zunehmende Auflösung. Wie weit darf Überwachung gehen? Und um welche Sicherheit handelt es sich, wenn sie der Preis dafür sein soll? Die Lust das Buch zu lesen, hat sich auf jeden Fall eingestellt.