„Eine Art Metaidee von Erinnerung“ – Henriette Vàsàrhelyi im Gespräch

Vor ihrer ersten Solothurn-Lesung am Freitag nahm sich Henriette Vàsàrhelyi Zeit, um mit Buchjahr-Redaktorin Salomé Meier über ihren zweiten Roman „Seit ich fort bin“, das grosse Thema literarischen Erinnerns und ihre Pläne für das Wochenende zu sprechen.

Liebe Frau Vàsàrhelyi, waren Sie schon mal an den Solothurner Literaturtagen?

Ja, ich war schon mal hier, auch als Gasthörerin. 2014 war ich mit meinem ersten Roman „immeer“ hier.

Wie sieht Ihr Programm dieses Wochenende aus?

Ich habe jetzt nachher eine kurze Lesung und am Sonntag eine Lesung mit Valeria Heintges und dann mache ich bei der Skriptor Textwerkstatt mit, wir besprechen ein Text von Lucien Haug. Ansonsten habe ich mir auch ein Programm gemacht für Lesungen, zu denen ich gerne gehen würde. Leute, die ich jetzt noch nicht gehört habe anzuhören. Und ich hoffe, dass ich auch paar Leute treffe.

In einer der Anfangsszenen Ihres neuen Romans „Seit ich fort bin“ erzählt die Protagonistin Mirjam von einem Einbruch in ihrer Wohnung, bei dem weniger Wertsachen als Dinge von ideellem Wert gestohlen werden. Fotos, die Festplatte. Mirjam erschrickt und geht darauf ins Badezimmer und betrachtet sich selbst im Spiegel. Als später der Polizist nach ihrem Namen fragt, dauert es einen Moment, bis er ihr einfällt. Inwiefern sind Erinnerungen nicht etwas, das wir haben, sondern auch sind?

Ich glaube, dass wir natürlich sehr unsere Erinnerungen sind. Aber dass diese sich verändern, und damit meine ich nicht nur, dass die einzelne Veränderung, also eine bestimmte Erinnerung sich verändert, sondern dass wir auch immer wieder uns fokussieren auf unterschiedliche Lebensphasen in der Erinnerung, dass manches mehr in einen toten Winkel rutscht, was vielleicht, ja noch nicht so lange zurückliegt, aber auch nicht gerade erst war, irgendwas dazwischen, habe ich das Gefühl liegt oft im Dunkeln. Oft ist es bestimmt auch die Relevanz eines Geschehnisses, die darüber bestimmt, ob wir uns daran erinnern und wie. Aber ich glaube, es gehört trotzdem auch sehr viel weniger Einflussnahme dazu, als man sich gerne einbildet. Es begegnet mir auch sehr stark, gerade in der Rezeption des Buches: Wenn ich daran denke, im Unterschied zu dem, was mir fremde Menschen über den Text sagen und dann jeweils wie damit umgegangen wird, umso besser mich die Leute kennen und den Text. Das ist teilweise sehr irritierend, wie sich auch darin widerspiegelt, wie Erinnerung wahrgenommen wird, die sich doch irgendwo immer an Fakten langhangelt und an der eigenen Wahrnehmung und dem eigenen Sumpf, aus dem man auf andere schaut.

Wo liegt denn der Unterschied in den Rezeptionen von Leuten, die Sie kennen und Leuten, die Sie nicht kennen?

Also das kann man jetzt nicht so sagen, das ist sehr fliessend. Aber es interessiert mich natürlich eigentlich theoretisch, weil das interessant ist, dass gerade Leute, denen ich z.B. das Buch gewidmet habe – dazu muss ich vielleicht sagen, ja es ist jetzt nicht die Geschichte, wie sie war; es ist Literatur –, die sind dann vielleicht ein bisschen enttäuscht. Während andersherum, umso fremder ich den Leuten bin, desto autobiographischer wird das Buch gelesen. Das ist für mich selber sehr interessant und da spüre ich dann auch solche Momente – das fand ich sehr gut gestern in der Eröffnungsrede – dass man dieses Autobiographische immer versucht, fast wie so’n Ekel, irgendwie versucht von sich wegzuschieben.

Sie haben es bereits angesprochen: Ihr Roman wird oft autobiographisch ausgelegt. Sieht man da vielleicht auch die Verbindung zu „immeer“, Ihrem ersten Roman?

Es ist ja nicht falsch, das autobiographisch zu sehen, auch, aber ich erzähl halt in erster Linie eine Geschichte, und das Autobiographische ist oft vielmehr die Atmosphäre, oder im Text kann man vielleicht auch sagen, es fängt sehr autobiographisch an und verliert sich dann aber in Fiktion. Das ist für mich eine Art Metaidee von Erinnerung. Es gibt die Erinnerung, wenn man die aber abgleicht, gerade auch die anderen Menschen, dann sieht man wie viel Fiktion bei jedem Einzelnen in der Erinnerung verankert ist.

Das vollständige Interview, in dem es u.a. um die Verbindung von individueller und kollektiver Erinnerung im Diskursfeld „DDR“ geht, erscheint in den nächsten Wochen auf buchjahr.ch