Ein Pfirsich zum Liebkosen

Ilma Rakusa ist nicht nur Dichterin, Erzählerin und Essayistin, sondern in der jüngeren Vergangenheit vor allem als literarische Übersetzerin hervorgetreten. 15 Jahre sind seit ihrer letzten Veröffentlichung von Gedichten vergangen.  Als Lyrikerin zurückgemeldet hat sie sich mit dem Gedichtband „Impressum: Langsames Licht“ trägt, aus dem sie an diesem drückend heissen Samstagvormittag in Solothurn liest. 

Einführend wird Rakusa als Reisende und Weltbürgerin beschrieben. Als sie Gedichte aus dem Kapitel ‚Orte‘ vorliest, wird schnell klar, warum. Denn diese reichen von Osteuropa, über Berlin und einem nordschwedischen Universitätsstädtchen bis nach Japan und Teheran. Ihren scharfen Blick setzt sie an all diesen noch so verschiedenen Orten ein. Unterschiedlich sind aber auch die Formen, die in diesem Band zusammentreffen. Jedem der sieben Kapitel ist ein Haiku vorangestellt, ihnen folgen dann teils längere Gedichte mit fast schon epischem Charakter.

Bei ihrer Lese-Auswahl scheint sich die Autorin für viele Gedichte über Alltägliches entschieden zu haben und diejenigen mit leichterem Ton aus der Sammlung hervorheben zu wollen. Dennoch kamen dem Publikum zu Ohren, wie Leute „aufwärts sterben“, wie Farben Klänge bekommen, wie nach der „Anleitung zu einem anderen Leben“ gefragt wird.

Dass ihr das Klangliche besonders wichtig sei, führt sie im kurzen Gespräch mit Christoph Kuhn aus. Der reine Wohlklang störe sie aber eher. Sie müsse die Harmonie immer wieder brechen, weil es für sie Reibung in den lyrischen Formen brauche. Kurz darauf liest sie von den Liebkosungen eines Pfirsichs sowie dem feinen Streichen über ein Perserkissen und plädiert für mehr Zärtlichkeit in unserer Welt – dem daraufhin schmunzelnden Publikum entgegnet sie verschmitzt: „Na, probieren Sie’s mal aus“.

Von wegen Frohsinnsmanko

Ein erstes Highlight: Das Gespräch zwischen Ulrich Blumenbach und Thomas Schlachter – zwei der versiertesten Übersetzer unserer Tage – im (leider nur spärlich gefüllten) Stadttheater. In den Blick rückten insbesondere die Schwierigkeiten bei der Übersetzung von Komik: Thomas Schlachter präzisierte am Beispiel der Prosa P.G. Wodehouse‘, wie weit eine Übersetzung bisweilen gehen muss, um einen sich aus der Umständlichkeit erhebenden Komikstil adäquat nachahmen zu können. Das Original muss so lange beobachtet werden, so Schlachter, bis sich in der deutschen Übertragung die Wörter aneinander zu reiben beginnen. Die Tendenz zur Kompositbildung weist das Deutsche dabei als eine für diese Form der Komik in besonderem Masse geeignete Sprache aus. Nicht zuletzt Max Goldts Prosa fusst auf Legionen von oxymoralen und zuvor nie gesehenen Komposita und auch Schlachter, der sich ganz offen in die stilistische Seelenverwandtschaft Goldts und Gernhardts einreiht, verwandelt mal eben Wodehouse‘ „that I was definitely short on chirpiness“ in „dass ich an einem Frohsinnsmanko litt“.

Die Freiheit, die sich ein Übersetzer leisten kann und muss, zeigt sich dann auch konkret im Licht jener Komik, die ein Text über seine Figuren hinwegspielt, wenn er diese etwa Zitate, die der literarisch halbwegs Interessierte sofort zuordnen kann, nicht als solche zu erkennen vermag. Der Horizont, der in die andere Sprache mit hinüber genommen werden muss, ist der des Lesepublikums – und der Horizont eines englischen Lesepublikums ist zweifellos ein anderer als der eines deutschen. Der Bildungsspeicher, der im Falle der Bibel oder Shakespeares noch international genutzt werden kann, versagt bereits bei einem Gedicht Alfred Lord Tennysons – und hier muss dann ein Äquivalent gefunden werden, das sowohl bildlich als auch von der kulturellen Relevanz dem im Original zitierten Text entspricht. Und voilà: Schlachter entscheidet sich für Uhlands „Maientau“.

Zur Übertragbarkeit von Lyrik einiges zu sagen hatte dann auch Ulrich Blumenbach, der – nachdem er bislang nahezu ausschliesslich als Prosa-Übersetzer (u.a. von David Foster Wallace‘ „Infinite Jest“) in Erscheinung getreten war, just zu den Literaturtagen einen Band mit aus dem amerikanischen Englisch übersetzten Gedichten Dorothy Parkers vorgelegt hat. Der Abstand zwischen der Formsprache zeitgenössischer Lyrik und der noch am Reim orientierten Dichtung Dorothy Parkers sorgt dabei für einen arbeitsintensiven Anachronismus: Parkers Gedichte lesen sich bei Blumenbach, wie Schlachter erfreut feststellt, wie die Lyrik der „Neuen Sachlichkeit“. Und auch hierin liegt eine komische Substruktur: Nicht nur einmal sorgt die Formstrenge für einen Clash zwischen metrischer Seriosität und inhaltlicher Banalität – man deklamiere die Zeile „Sie nährte mich ballaststoffreich“. Wie Wodehouse, so zeichnet auch Parkers Dichtung sich vor allem durch Stilregisterbrüche und sich hinterrücks, von Zeile zu Zeile anschleichende Pointen aus. (Dort, wo sie sich vom Scherzgedicht abwendet, wird gleichwohl sofort ihre Verhaftung im Sentimentalitätsgedicht des 19. Jahrhunderts sichtbar.)

Ein kluger, unterhaltsamer, reflexionsreicher Dialog war das – und gerne hätte man den beiden noch länger zugehört. Jeder für sich wird aber noch in Solothurn seine Bühne bekommen: Ulrich Blumenbach heute um 17.00 Uhr, Thomas Schlachter morgen um 14.00 – jeweils im Landhaus. Hingehen.

Zeitgeschichte crasht Lyrik

Das Setting im Poesiesalon ist klein und fein. Das Publikum scheint handverlesen, das Ambiente ist gediegen, das Flüstern respektvoll. Vera Schindler-Wunderlich, Jahrgang 1961 und ausgezeichnet mit dem Schweizer Literaturpreis 2014, präsentiert ihr zweites Werk „Da fiel ich in deine Gebäude“. So abstrakt ihre Gedichte teilweise wirken, so anschaulich sind ihre eigenen Gedanken, die sie erklärend einfliessen lässt in die Lesung. Sie arbeitet als Protokollantin im Schweizer Parlament. Die Weltgeschichte und gerade politische Ereignisse verarbeitet sie zu Literatur, Jahresrechnungen werden zu Rhythmik, gesetzlose Morde zu geordneten Versen. Gerade ihre Wortkombinationen und das Herausheben von Details prägen ihre Poetik. Spezielles Interesse weckte ihr Gedicht „Da sassen wir in Venedig“. Es zeigt anhand des enthaupteten Pazifisten Kenji Goto auf, wie makaber unsere Welt ist und wie gegensätzlich. Und so wie der Schauplatz Venedig Märtyrer in Gold fasst, so stellt sie den Schrecken in den schönen Bildern der Dichtkunst dar. Diese Verbindung von Aktualität und Kunst zeichnen Vera Schinder-Wunderlich aus und machen ihre Lesung zu einem aufrüttelnden Erlebnis. Aus Sprache wird Klang, aus schockierenden oder auch bürokratischen Inhalten Musik. Eine Entdeckung, die jede Leseliste bereichert.

 

Bildnachweis: © Sébastien Agnetti