Autorengefängnis Türkei – zum Dritten

„In der Türkei wurden im letzten Jahr 170 Schreibende verhaftet, 150 Medien gesperrt und über 700 Presseausweise annulliert“. Angesichts der einführenden Worte Adi Blums, anwesend als Vertreter des PEN, klingt der Name, den die Veranstaltung trägt, wie ein Euphemismus: „Wolken über dem Himmel“, erläutert die Sinologin und Germanistin Alice Grünfelder, „ist der Literatur eines zerrissenen Staates als Seismograph für die letzten hundert Jahre seiner Geschichte gewidmet.“

Dass diese Geschichte geprägt ist von Unterdrückung, Völkermord, Zwangsumsiedlung, Gefangenschaft und Flucht, wird nicht nur durch die Biografien der türkischen AutorInnen deutlich, die Yusuf Yesilöf vorstellt. Dieser wurde selber in einem kurdischen Dorf geboren und floh 1987 in die Schweiz.

Auch die von Thomas Sarbacher gelesenen Texte, ein Poem über einen ermordeten Deserteur, die Auszüge aus „Im Schatten der Liebe“ von Mehmed Uzun oder die Texte von Mustafa Kemal, zeigen, was Kemal, der im Alter von 17 Jahren erstmals für ein Gedicht inhaftiert worden war, selber formulierte: „Alle Wege führen ins Exil.“

Gezeichnet ist die türkische Literatur jedoch nicht nur von Hoffnungslosigkeit.

Das Gedicht „Wissen über die Unendlichkeit“ etwa mit den Versen „Seit jeher ist die Unendlichkeit/ausserhalb von uns/und in uns“, oder der Appell „Verlieben Sie sich!“ von Asli Erdogan spenden Trost und Hoffnung angesichts des Unerklärbaren.

So wird mit Nesins Worten zum Ende das Augenmerk noch einmal auf „das bisschen Himmel“ gerichtet, auf das Erdogan in einem Interview mit der NZZ kurz nach ihrer Freilassung verwies:

„Wann immer wir der Freiheit und der Liebe willen/eine Zigarette ins Meer warfen/brannte sie bis zum Morgen.“

SELMA IMHOF