A une passante – Top Ten der aufgeschnappten Zitate

Eine Menge wurde gelesen, eine Menge gesagt. Und damit auch nicht vergessen geht, was alles so beiläufig dahin geredet wurde in den Warteschlangen und Zuschauermassen, halten wir fest: die Top Ten willkürlicher Zitate, die man nicht unbedingt hätte aufschreiben müssen. Oder doch?

Continue reading A une passante – Top Ten der aufgeschnappten Zitate

Amsél – Wiedersehen in Tanger

Dass Amséls photographisches Talent ihr schriftstellerisches noch überragt, zeigt sich bereits in den wenigen vorgelesenen Zeilen. Starke und sprechende Bilder einer in Fleisch und Erde wiederkehrenden Welt im letzten Licht des Ramadan stehen bisweilen peinlich unverhüllten didaktischen Eskapaden gegenüber: islamische Theologie, Etymologien, Kulturwissenschaftliches und natürlich dürfen auch die grossen Zusammenhänge zur Weltgeschichte in den Nebensätzen nicht fehlen. Es ja nicht ungewöhnlich, dass Erstlingswerke sich schwer tun der Versuchung zu widerstehen, die Welt zu erklären, anstatt sie zu zeigen und zu schaffen. Und es stellt sich natürlich immer wieder die Frage, ob Ersteres überhaupt in den Aufgabenbereich eines Schriftstellers gehört, schliesslich stehen aus anderen Disziplinen reichlich phantasielose und analytische Denker dafür zur Verfügung. Nichtsdestotrotz – Amsél hat auch etwas zu bieten.

Continue reading Amsél – Wiedersehen in Tanger

Bürgerrechte für literarische Figuren?

Das Gespräch über Lukas Bärfuss und seinen „Hagard“ fällt zugunsten einer ausgedehnten Lesung eher knapp aus. Das Übliche: die zu grosse Geschichte, die Photonenwogen, das Farbenspiel, die Kämpfe, die niemals tödlich enden. Neues: der Speichelfaden, das Gezücht aus der Kreativbranche, der monumentale Hintern. Mehr als sonst zeigt Bärfuss auch das komische Gesicht seines Textes und demonstriert, dass ein leidenschaftliches Vortragen auch umfangreichen Leseauszügen grossen Anklang im Publikum verschaffen kann – der Mann weiss, wie es auf der Bühne läuft.

Eine kurze Diskussion wirft die vor wenigen Stunden bereits im Podium angerissene Frage wieder auf: Woher nimmt der Autor das Recht, über die von ihm erschaffenen Figuren zu verfügen? Wo Jonas Lüscher keine Skrupel kennt und mit den Kindern seines Geistes tut, was ihm beliebt, äussert Bärfuss moralische Bedenken. Der Autor tritt als Schöpfer in eine Verantwortung. Man bringt seine Figuren in Not und verführt sogar andere Menschen, die Leserschaft, zum Beiwohnen peinlicher Taten, privater Angelegenheiten und intimer Gedanken. Als Bühnenautor, verbildlicht Bärfuss, sei er oftmals vor die Situation gestellt, dass seine Figuren zu solchen aus Fleisch und Blut werden, zu Menschen, die Unangenehmes verkörpern müssen – Unangenehmes, das er erfunden hat, wofür er verantwortlich ist. Man müsse einen guten Grund haben, wenn man jemandem so etwas antut.

Dass fiktive Figuren über reale moralische Rechte verfügen, bleibt sicher zweifelhaft, aber dass sie in der Interaktion mit ihrem Publikum in eine soziale Verantwortung treten und im Gefüge der Gesellschaft oft wie reale Entitäten funktionieren, scheint ein beachtenswerter Gedanke. Nicht zuletzt ist es eine alte Frage: So spricht bereits Kant über die Verrohung des Menschen bei der Misshandlung menschenähnlicher Wesen, und auch in der aristotelischen Poetik finden sich Normen zum Schicksal erfundener Seelen. Diese Fragen werden die Literatur folglich noch über die Saison hinaus zu beschäftigen wissen.

Wegschauen – Wegerzählen

„Der böse Wolf muss vorkommen!“ So die Forderung ihrer Kinder, als die bisher als Romanautorin bekannte Dana Grigorcea zu einer Erzählung ansetzt, die beim Einschlafen helfen soll. Das daraus hervorgegangene Bilderbuch erfüllt, wie die Autorin in der Solothurner Mittagshitze versichert, durchaus seinen Zweck als Einschlafhilfe – aber vom bösen Wolf keine Spur. Ein struppiges, kleines, geradezu bemitleidenswertes Geschöpf präsentiert sich stattdessen dem Leser im Mondlicht. Das den kleinen Wolf am Einschlafen hindert.

Continue reading Wegschauen – Wegerzählen

Unser Team für Solothurn:
Seraphin Schlager

Seraphin Schlager studiert Germanistik und Philosophie in Zürich. Sich bisher vorwiegend mit Texten längst vergangener Epochen beschäftigend, brennt er darauf zu erleben, wie Literatur einen Ort erhält und Menschen aus Fleisch und Blut der literaturtheoretischen Exekution des Autors die Stirn bieten. Wird Henriette Vàsàrhelyis Lesung die Erinnerung an ihr Buch verändern? Darf Lukas Bärfuss erklären, was ‚Hagard‘ bedeutet soll? Ist Michael Fehr ein Text? Und was passiert mit all den bezahlten Gefühlen, wenn Tim Krohn keinen Bock mehr hat?