Amsél – Wiedersehen in Tanger

Dass Amséls photographisches Talent ihr schriftstellerisches noch überragt, zeigt sich bereits in den wenigen vorgelesenen Zeilen. Starke und sprechende Bilder einer in Fleisch und Erde wiederkehrenden Welt im letzten Licht des Ramadan stehen bisweilen peinlich unverhüllten didaktischen Eskapaden gegenüber: islamische Theologie, Etymologien, Kulturwissenschaftliches und natürlich dürfen auch die grossen Zusammenhänge zur Weltgeschichte in den Nebensätzen nicht fehlen. Es ja nicht ungewöhnlich, dass Erstlingswerke sich schwer tun der Versuchung zu widerstehen, die Welt zu erklären, anstatt sie zu zeigen und zu schaffen. Und es stellt sich natürlich immer wieder die Frage, ob Ersteres überhaupt in den Aufgabenbereich eines Schriftstellers gehört, schliesslich stehen aus anderen Disziplinen reichlich phantasielose und analytische Denker dafür zur Verfügung. Nichtsdestotrotz – Amsél hat auch etwas zu bieten.

„Wiedersehen in Tanger“ ist das erste Buch der Zürcher Autorin. Schauplatz ist Marokko, ihr zweites Zuhause, wo sie als Photographin und Psychologin tätig ist. Amsél setzt sich in der Solothurner Abendsonne auf die kleine Wagenbühne am Landhausquai, sagt einige knappe Worte zu ihrem Buch, zur gewählten Stelle und beginnt gleich zu lesen. Und ein photographisch geschultes Auge ist es, das in die schattenbedeckte Lagune, ein „blinder Spiegel“, der weissen Hafenstadt Tanger entführt. Eine beinahe überschwängliche Liebe fürs Detail und ein Bewusstsein für Inszenierung von Bilderanordnungen bleiben nicht lange verborgen. Wo man mit gesunder Selbstverständlichkeit Lämmer schlachtet, Knochen einäschert und Lebern auf Kohlefeuern brät, wird zart in altorientalischen Metaphern geliebt und begehrt. Nach „Milch und Erde“ schmeckt der geküsste Hals. „Der Tod hat keinen Bestand“, nur ein „kurzes Stöhnen und Zucken“ ist er. Die Magie Amséls kontrastreicher Bilder überzeugt, da kann sie bedeutend erfolgreicheren Kollegen etwas vormachen.

Als weniger magisch erweist sich dann aber die folgende Debatte zwischen Tarik und Chaya, die an einer nicht unerheblichen referenziellen Reizüberflutung leidet. Achronismen aus der Textgenese heiliger Schriften, die Loslösung von widersprüchlichen Zeichen zum gemeinsamen Gehalt, Hiroshima, Balkankrieg, Ruanda, Materialisten, welche die Sehnsucht nach Transzendenz nicht verstehen wollen, sowie die Bedeutung irgendeines Heiligennamens, die etymologische Verwandtschaft von Gold und Licht. Und nicht zu vergessen: die Religion als kollektiver Wahnsinn und der an sie gerichtete Vorwurf, in viel zu kindlichen Kategorien zu denken – was das an dieser Stelle nun auch heissen mag.

Alles in allem aber für den Anfang nicht schlecht. Wir sind gespannt auf mehr.