Zeitgeschichte crasht Lyrik

Das Setting im Poesiesalon ist klein und fein. Das Publikum scheint handverlesen, das Ambiente ist gediegen, das Flüstern respektvoll. Vera Schindler-Wunderlich, Jahrgang 1961 und ausgezeichnet mit dem Schweizer Literaturpreis 2014, präsentiert ihr zweites Werk „Da fiel ich in deine Gebäude“. So abstrakt ihre Gedichte teilweise wirken, so anschaulich sind ihre eigenen Gedanken, die sie erklärend einfliessen lässt in die Lesung. Sie arbeitet als Protokollantin im Schweizer Parlament. Die Weltgeschichte und gerade politische Ereignisse verarbeitet sie zu Literatur, Jahresrechnungen werden zu Rhythmik, gesetzlose Morde zu geordneten Versen. Gerade ihre Wortkombinationen und das Herausheben von Details prägen ihre Poetik. Spezielles Interesse weckte ihr Gedicht „Da sassen wir in Venedig“. Es zeigt anhand des enthaupteten Pazifisten Kenji Goto auf, wie makaber unsere Welt ist und wie gegensätzlich. Und so wie der Schauplatz Venedig Märtyrer in Gold fasst, so stellt sie den Schrecken in den schönen Bildern der Dichtkunst dar. Diese Verbindung von Aktualität und Kunst zeichnen Vera Schinder-Wunderlich aus und machen ihre Lesung zu einem aufrüttelnden Erlebnis. Aus Sprache wird Klang, aus schockierenden oder auch bürokratischen Inhalten Musik. Eine Entdeckung, die jede Leseliste bereichert.

 

Bildnachweis: © Sébastien Agnetti