Wo ein Fluss, da ein Heim?

In ihrem Debüt „Was den Fluss bewegt“ reflektiert Dina Sikirić ein hochaktuelles Thema: Was geschieht mit einem Menschen, der seine Heimat hinter sich lassen muss, um sich in der Fremde eine neue zu erschaffen?
Als kleines Mädchen hat sie in den 60er Jahren zusammen mit ihrer Mutter ihr Heimatland Kroatien hinter sich gelassen, um in der schweizerischen Rheinhauptstadt ein neues Leben zu beginnen. Ihre Geschichte von Um- und Eingewöhnung, von Entwurzelung und vom Fremdsein erzählt sie in diesem stark autobiographisch gefärbten Roman. Erschienen 2016 im Waldgut Verlag, ist es das dritte Buch aus der Reihe „waldgut zoom“, welche insbesondere auf junge Literatur fokussiert. „Jung“ das meint selbstredend „frisch, neue Formen für gute Ideen, ungewohnt bis unbrav, hochinteressant bis kühn“, also Literatur, die aufwühlt, die bewegt.
Und wie bewegend Dina Sikirićs Buch wirklich ist, kann das Publikum an diesem Freitagvormittag in der überfüllten Säulehalle gut mitfühlen: Sikirić liest und erzählt von ihrer Migration in fragmentarischen Erinnerungen, in leichtfüssiger, präziser Sprache. Angekommen in einer Schweiz der 60er Jahre, musste sie sich erst an die sperrigen Einheimischen gewöhnen, die sie ihre Fremdheit immer wieder spüren liessen. „Die Schweiz war damals noch ein sehr in sich verkapseltes Land“, erinnert sich Sikirić. Viele hätten nicht einmal gewusst, wo Kroatien liegt, obwohl das Land nur eine Nachtreise entfernt war. Und mit dieser noch sehr klaren Erinnerung beginnt denn auch der Roman: „Der Zug fuhr durch die Nacht“, heisst es zu Beginn. Er trägt das 5-jährige Mädchen in die Stadt mit dem grossen Fluss, die sich im Roman allerdings nie explizit als Basel zu erkennen gibt. Im ganzen Buch werden bewusst keine Ortsnamen genannt, der Text soll unverortet bleiben. So wie auch die Autorin, die einst in der ganzen Welt beheimatet, erst seit 2007 wieder fest in der Schweiz lebt. „Was den Fluss bewegt“ umschreibt also letztlich auch eine Daseinsform, ein Leben in Bewegung: Die Romanfigur tingelt zwischen den Welten, der schweizerischen und der kroatischen. In der Stadt am Fluss lebt sie zeitweise getrennt von der arbeitenden Mutter in einem katholischen Kinderheim, umgeben von Fremdheit; in den Ferien geniesst sie die Wärme und Zuneigung ihrer grossen Familie, verkörpert aber auch da das Andere. Doch die Entwurzelung ist nicht nur negativ, der Roman kein Nostalgiebericht. Fremd zu sein, das ist auch eine Chance. Die Chance zu fliessen, sich zu öffnen, für Neues. Diese Tage der Lesungen und Gespräche erinnert die Aare daran. Auch das ist Solothurn: ein Fluss. Bewegung.