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«Eine große, eine fantastische Flüchtigkeit»?

Dominik Dusek

Im vergangenen Herbst hat der gebürtige Österreicher Dominik Dusek, der seit Langem als Radiomacher in Winterthur lebt, seinen ersten Roman vorgelegt. Darin herrscht eine ziemliche Unordnung.  Das passt natürlich zum schönen Titel «Er tritt über die Ufer», lässt aber selbst erfahrene Leserinnen und Leser erst einmal ziemlich im Regen stehen. Lohnt dennoch ein Weiterlesen?

Von Simon Härtner
12. Juni 2018

Die Köpfe der anderen 

Dabei ist wenigstens die Rahmenhandlung schnell erzählt: Der namenlose Erzähler hat den Auftrag erhalten, eine Biographie über den gerade als Superstar gehandelten Popmusiker Peter Arbogast zu schreiben. Wer ihm diesen Auftrag genau erteilt, bleibt im Dunkeln. Der Erzähler nimmt an. Vor allem, um sich von seiner angeheirateten Verwandtschaft zu verstecken, wie er eingangs gesteht. Erst spät werden wir erfahren, dass diese Verwandtschaft vor allem aus seiner Exfrau und deren Vater besteht. Da haben wir aber bereits verstanden, dass der Erzähler jemand ist, der lieber «in die weite Ferne eines anderen Kopfes» flieht, als sich mit seinen eigenen Problemen herumzuschlagen.

Kruder Wolkenmeister 

Dieser Kopf gehört in diesem Fall dem Popmusiker Arbogast: «Ein Wolkenmeister. Einer, der Spuren hinterlässt, die bislang niemand schlüssig zu deuten vermochte. Weil sie sich ständig verändern, wie Wolken eben. Eine große, eine fantastische Flüchtigkeit.» Der Erzähler sieht sich als Einziger dazu in der Lage, dieses Objekt adäquat zu erfassen. Indem er dessen Flüchtigkeit nicht wegschreibt, sondern zum Gestaltungsprinzip macht: Keine lineare Biographie also, sondern ein «Flickenteppich» wird geboten. Wild werden Fetzen aus Arbogasts Leben herausgegriffen und in eine beliebige Reihenfolge gebracht: «Und zack, der Umzug nach Detroit. Und zack, die Sache mit dem neuen Dylan. Und zack, die Zeiten, in denen sich fast jede Spur verliert. Und zack, das Verhältnis zur Party ohne Herkunft. Und zack, die Abnabelung von den Eltern und die Versuche, sich an der Uni zurechtzufinden.»

Zum Autor

Dominik Dusek, geboren 1968 in Wien, lebt seit 2000 in Winterthur. Von 2001 bis 2017 war er Redaktor beim Züritipp und schrieb für den Tages-Anzeiger über Popmusik. Er hat den Radiosender Stadtfilter in Winterthur mit aufgebaut und dort die Kulturredaktion geleitet. 2009 rief er die Instant-Hörspielreihe «Hasenrain 21» ins Leben.
Foto: © Dominik Morf

Dieses Chaos wird weiter verstärkt, indem sich der Erzähler unterschiedlicher Formen von imaginierten Szenen über E-Mails und Plattenkritiken bis zum pseudodokumentarischen Interview bedient.  Zusätzlich dazu wird dieser Flickenteppich von Szenen aus dem Leben des Erzählers unterbrochen: Zack die Paartherapie mit seiner Exfrau, zack der Drogentest, weil ihm seine Exfrau den Konsum von illegalen Substanzen vorwarf, zack die Versuche als Unternehmer, die ihm der Schwiegervater finanzierte. Dabei droht der Erzähler selbst die Übersicht zu verlieren und im selbst fabrizierten Wirrwarr zu verschwinden.

Slippery when wet 

Was macht man nun als Leserin oder Leser mit dieser Unübersichtlichkeit? Kann und will man überhaupt eine sinnstiftende Ordnung in dieses Chaos bringen? Eine Möglichkeit besteht darin, den Erzähler ins Zentrum zu rücken und seine gewählte Darstellungsmethode als poetisches Prinzip zu würdigen. Die Flüchtigkeit, mit der Arbogast beschrieben wird, bedeutet Ungreifbarkeit: Arbogast ist nicht zu fassen. Daher auch der Titel. Genau wie ein Gewässer, das Grenzen übertritt, entflieht auch der Musiker scheinbar allen Einfriedungen. Er ist letztlich ein Mensch, der nicht unter Kontrolle gebracht werden kann. Das erinnert von sehr fern an Gotthelfs Wassernot im Emmental. Dessen Transfer in die Popwelt ja durchaus seinen Reiz haben könnte. Doch wozu das Ganze? Geht es darum, eine gewisse Bodenlosigkeit in der Welt aufzuzeigen? Geht es um zwischenmenschliche Beziehungen, in denen man letztlich auch nie sicher sein kann, ob das Gegenüber in das Gefäss passt, das man vorgesehen hat? Oder geht es schlicht und einfach um einen Mann, der in einer Lebenskrise steckt und diese mit verqueren Methoden zu überwinden versucht?

Der ganz grosse Wurf ist Dusek mit seinem ersten Roman nicht gelungen. Anregungsreich und angenehm weit entfernt vom braven Durchschnitt ist seine formal  ambitionierte Prosa aber allemal. Wer jedoch eindimensionales, geradliniges Erzählen bevorzugt, fischt wohl besser in anderen, nicht ganz so trüben literarischen Gewässern.

Dominik Dusek: Er tritt über die Ufer. Zürich: lectorbooks 2018, 368 Seiten. 25 CHF.

Zum Verlag

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