KW13

Dechiffrierbare Kunst

Mit «Der tiefblaue Traum» wagt sich Perikles Monioudis zum ersten Mal an einen KI-Roman. Dabei geht er zurück an den Anfang der Digitalisierung und dem Wesen der Kunst im Angesicht ihrer maschinellen Entzifferbarkeit auf den Grund.

Von Luana Sarbacher

Zürich, Ende der 80er-Jahre: Ein junger Mann und seine Freundin steigen mit einem selbst gegründeten Unternehmen in den aufkommenden Computerhandel ein. «Billigschick» lautet dabei ihr Erfolgsgeheimnis, und es funktioniert: Als Discounter verstehen sie sich gegen die Konkurrenz zu behaupten. Um mit dem Angebot auf dem aktuellen Stand zu bleiben, beobachtet das Paar die beginnende Digitalisierung ganz genau und ist überzeugt, eines Tages würden Maschinen die Welt beherrschen.

Zum Autor

Perikles Monioudis, geboren 1966 in Glarus, studierte Soziologie, Politologie und Allgemeines Staatsrecht in Zürich und promovierte in Philosophie. Monioudis ist ein Autor mit internationalem Renommee, der seit den 90er Jahren ein umfangreiches Werk an Romanen und Erzählbänden veröffentlicht hat. Seine Texte wurden in mehrere Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet («Palladium», «Eis», «Die Trüffelsucherin» u.v.a.), darunter der Preis des Schweizerischen Schriftsteller­verbandes und der Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis (1997). Monioudis lebt mit seiner Familie in Zürich.
Foto: © Monioudis

Statt seinen KI-Roman in der Gegenwart oder Zukunft anzusiedeln, geht Perikles Monioudis in seinem neusten Roman Der tiefblaue Traum einen Schritt zurück und schildert in anschaulichen Szenen die Anfänge des nach wie vor hochaktuellen Themas. Dabei wird aber stets auch unsere Gegenwart mitreflektiert. Die Digitalisierung wird als unaufhaltsam fortschreitender Prozess ausgestellt, der noch lange nicht am Ende ist: «Was in den nächsten Jahrzehnten auf uns zukommen würde, könne sich niemand ausdenken, nicht einmal ein Phantast.»

Die Kunst wird im Roman zum Gegenpol, wobei auch diese sich zunehmend gegen die Technik behaupten muss. Denn beim Musikhören ist für den Protagonisten die Funktionsweise seines Walkmans genauso faszinierend wie die Musik selbst. Ähnliches gilt für den Ausflug in einen Berliner Technoclub, wo die Technik Teil der Musik wird. Und als seine Freundin Aimée ihm ihre Dunkelkammer zeigt, ist in den Fachzeitschriften bereits von digitalen Kameras die Rede.

Nur ein blaues Bild, das Aimées Onkel für sie gemalt hat, entzieht sich alldem. Niemand kann es entschlüsseln, und doch fasziniert es alle Betrachtenden. Als Aimées Onkel stirbt und sie seine Kunstsammlung erbt, beschliesst das Paar, sein Unternehmen zu verkaufen und sich stattdessen um die Sammlung zu kümmern. Dabei stellt sich heraus, dass Aimées Onkel gezielt Kunstwerke gesammelt hat, die nicht maschinenlesbar sind. So sehen sich die beiden mit Fragen konfrontiert, die heute vor dem Hintergrund der KI vielfach diskutiert werden: Kann Kunst maschinenlesbar und sogar durch Maschinen weitergedacht werden? Oder behält Aimées Onkel Recht und es gibt Kunstwerke, die sich auch dem Verständnis der Maschinen entziehen und somit das Menschliche erhalten können? Leider entwickelt sich dieser Teil der Handlung erst spät im Roman und erhält wenig Raum, so bleiben diese Fragen zum eher abrupten Schluss des Romans verloren stehen.

Grundsätzlich bieten die knapp dreihundert Seiten nicht viel Platz für den umfangreichen Stoff. Den rasanten technischen Veränderungen entsprechend erzählt der Autor in einem hohen Tempo und wirkt so der teilweise ausbleibenden Spannung entgegen. Zuweilen geht es dann aber doch zu schnell und widerstandslos, sowohl die Handlung als auch Gemütszustände drohen ins Plakative zu kippen. Ebenso fehlt es dadurch den ansonsten durchaus faszinierenden und bisweilen auch bizarren Figuren an Komplexität, insbesondere beim Protagonisten wird keine wirkliche Entwicklung spürbar. Unpassend ist diese Art zu erzählen hier jedoch nicht, steht doch die schleppende Entfaltung der Figur im direkten Gegensatz zur Geschwindigkeit des technischen Fortschritts, einmal mehr droht die Maschine den Menschen zu überholen.

So liegen die Stärken des Romans vor allem auf der performativen Ebene: Indem Monioudis Kunst und Technik aufeinanderprallen lässt, entsteht eine surreale Wirkung, die durch das immer wiederkehrende Motiv des Traums verstärkt wird. Und genau in diesen surrealen Momenten liegt die Stärke dieses Romans. So schafft er – wie der Titel bereits andeutet – selbst ein ästhetisches Erleben, das sich der maschinellen Vermittlung entzieht.

Perikles Monioudis: Die Entflammten. 312 Seiten. Aachen: Rimbaud Verlag 2024, ca. 48 Franken.

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